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Wolfgang Kullmann
daß die spontane Entstehung eine kontinuierliche Fortpflanzung begrün-
den könnte (vgl. De gen. an. A l)33. Auch die These von einer spontanen
Entstehung bestimmter Arten kann also nicht als ein Ansatz zu einer
durchgängigen, übergreifenden teleologischen Naturbetrachtung ange-
sehen werden. Diese These bedeutet vielmehr, daß Aristoteles in gewisser
Weise den Unterschied zwischen Organischem und Anorganischem nur
als graduell ansah34. Wenn man eine grobe moderne Analogie heran-
ziehen will, könnte man an die Viren erinnern, die ebenfalls dem Grenz-
bereich zwischen Organischem und Anorganischem zugerechnet werden.
Eine irgendwie gesteuerte Urzeugung mit nachfolgender kontinuierlicher
Fortpflanzung und damit zielgerichteter Höherentwicklung vom Anor-
ganischen zum Organischen gibt es bei Aristoteles nicht.
Eine gute Bestätigung dafür, daß Aristoteles von vornherein die Fina-
lität in der Biologie auf die interne Finalität beschränkt wissen wollte,
liefert auch die Wissenschaftslehre der Anal. post. Danach muß die
Existenz der zur Untersuchung anstehenden Substanzen als Prinzip, d. h.
als Axiom, ohne Beweis vorausgesetzt werden (Anal. post. A2.10). Die
Existenz eines Lebewesens, d. h. einer Tierart, ist also naturwissenschaft-
lich nicht weiter ableitbar.
Aus allem diesem folgt, daß von einem durchgängigen teleologischen
Weltbild in den biologischen Schriften des Aristoteles nicht die Rede
sein kann. Das bedeutet nicht, daß Aristoteles sich nicht Gedanken
über das Verhältnis der Tierarten zueinander gemacht hätte. Er kennt
die scala naturae, d.h. er vermag die Tierarten nach dem Grad ihrer
Organisationshöhe, die er an dem Zustand des Nachkömmlings bei der
33 Zwar rechnet Aristoteles in seinen älteren Schriften gelegentlich noch mit der
logischen Möglichkeit, daß etwas genauso, wie es aus Samen entsteht, auch ohne
Samen von allein entstehen könnte. Beispiele gibt er aber nicht an, und in De
gen. an. hat er sich ganz davon distanziert. Vgl. D. M. Balme, The Develop-
ment of Biology in Aristotle and Theophrastus: Theory of Spontaneous Genera-
tion, Phronesis 7, 1962, 91ff.; ders., Aristotle’s De partibus animalium I and
De generatione animalium I, transl. with notes, Oxford 1972, 127ff., wo ein
guter Überblick über die vorhandenen Formen der Entstehung der Lebewesen
bei Aristoteles gegeben wird.
34 Einen gleitenden Übergang zum Leblosen vertritt Aristoteles auch ausdrücklich
Hist. an. ® 1.588 b 4ff.; De part. an. A 5.681 a lOff. Dieser Übergang ist nicht
im Sinne einer teleologischen Entwicklung, ja überhaupt nicht im Sinne einer
Entwicklung zu verstehen, sondern im Sinne eines Nebeneinanderexistierens.
Vgl. H. Happ, Die scala naturae und die Scheidung des Seelischen bei Aristoteles,
in: Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift Altheim,
Berlin 1969, 234 m. Anm. 62. - Auch diese Lehrmeinung paßt schlecht zu einem
Vitalisten im Sinne der Aristoteleskritiker.
Wolfgang Kullmann
daß die spontane Entstehung eine kontinuierliche Fortpflanzung begrün-
den könnte (vgl. De gen. an. A l)33. Auch die These von einer spontanen
Entstehung bestimmter Arten kann also nicht als ein Ansatz zu einer
durchgängigen, übergreifenden teleologischen Naturbetrachtung ange-
sehen werden. Diese These bedeutet vielmehr, daß Aristoteles in gewisser
Weise den Unterschied zwischen Organischem und Anorganischem nur
als graduell ansah34. Wenn man eine grobe moderne Analogie heran-
ziehen will, könnte man an die Viren erinnern, die ebenfalls dem Grenz-
bereich zwischen Organischem und Anorganischem zugerechnet werden.
Eine irgendwie gesteuerte Urzeugung mit nachfolgender kontinuierlicher
Fortpflanzung und damit zielgerichteter Höherentwicklung vom Anor-
ganischen zum Organischen gibt es bei Aristoteles nicht.
Eine gute Bestätigung dafür, daß Aristoteles von vornherein die Fina-
lität in der Biologie auf die interne Finalität beschränkt wissen wollte,
liefert auch die Wissenschaftslehre der Anal. post. Danach muß die
Existenz der zur Untersuchung anstehenden Substanzen als Prinzip, d. h.
als Axiom, ohne Beweis vorausgesetzt werden (Anal. post. A2.10). Die
Existenz eines Lebewesens, d. h. einer Tierart, ist also naturwissenschaft-
lich nicht weiter ableitbar.
Aus allem diesem folgt, daß von einem durchgängigen teleologischen
Weltbild in den biologischen Schriften des Aristoteles nicht die Rede
sein kann. Das bedeutet nicht, daß Aristoteles sich nicht Gedanken
über das Verhältnis der Tierarten zueinander gemacht hätte. Er kennt
die scala naturae, d.h. er vermag die Tierarten nach dem Grad ihrer
Organisationshöhe, die er an dem Zustand des Nachkömmlings bei der
33 Zwar rechnet Aristoteles in seinen älteren Schriften gelegentlich noch mit der
logischen Möglichkeit, daß etwas genauso, wie es aus Samen entsteht, auch ohne
Samen von allein entstehen könnte. Beispiele gibt er aber nicht an, und in De
gen. an. hat er sich ganz davon distanziert. Vgl. D. M. Balme, The Develop-
ment of Biology in Aristotle and Theophrastus: Theory of Spontaneous Genera-
tion, Phronesis 7, 1962, 91ff.; ders., Aristotle’s De partibus animalium I and
De generatione animalium I, transl. with notes, Oxford 1972, 127ff., wo ein
guter Überblick über die vorhandenen Formen der Entstehung der Lebewesen
bei Aristoteles gegeben wird.
34 Einen gleitenden Übergang zum Leblosen vertritt Aristoteles auch ausdrücklich
Hist. an. ® 1.588 b 4ff.; De part. an. A 5.681 a lOff. Dieser Übergang ist nicht
im Sinne einer teleologischen Entwicklung, ja überhaupt nicht im Sinne einer
Entwicklung zu verstehen, sondern im Sinne eines Nebeneinanderexistierens.
Vgl. H. Happ, Die scala naturae und die Scheidung des Seelischen bei Aristoteles,
in: Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift Altheim,
Berlin 1969, 234 m. Anm. 62. - Auch diese Lehrmeinung paßt schlecht zu einem
Vitalisten im Sinne der Aristoteleskritiker.