Die Teleologie in der aristotelischen Biologie
23.
Aristoteles ist also weit davon entfernt, den ganzen Organismus als eine
zweckbestimmte Konstruktion aus einem Guß zu betrachten. Ihm ist
nicht entgangen, daß bestimmte Ergebnisse des Organbildungsprozesses
nicht primär auf den Zweck hin angelegt sein können, den sie erfüllen.
Nicht in allen Fällen fügen sich Entstehungs- und Zweckursachen so
bruchlos zusammen, wie - für ihn - im Falle von Herz und Lunge. Die
uns durch die Evolutionstheorie geläufige Tatsache, daß bestimmte
Organbildungen erst im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Arten
ihre heutige Funktion erhalten haben, konnte Aristoteles nicht kennen,
aber er hat intuitiv aufgrund seines Studiums des Aufbaues des Orga-
nismus den sekundären Charakter vieler Funktionen von Körperorganen
erkannt.
Dafür einige Beispiele: Aristoteles erklärt in De part. an. A 3.677
b 21 ff. die Entstehung des Omentum, des Netzes, jener den größten Teil
des Darms bedeckenden Bauchfellduplikatur, aus der physikalisch-
chemischen Tatsache, daß immer dann, wenn eine Mischung aus Hartem
und Flüssigem erwärmt wird, der äußere Rand hautartig und membran-
artig wird. Die Entstehung der dicken Haut des Netzes ist für ihn also
ein zwangsläufiger Begleitumstand bei der Entstehung des Darms. Sekun-
där erfüllt das Netz dann die Funktion, durch seine Wärmewirkung die
Verdauung der Nahrung zu verbessern. Ähnlich entsteht nach 672 a lff.
das Nierenfett zwangsläufig aus Rückständen bei der Filtrierung des
Harns und ist somit ein Überschußprodukt. Sekundär dient es dann
der Warmhaltung der Nieren. Auch das Auftreten von Augenbrauen
und Wimpern ist nach seiner Meinung kein ursprüngliches Ziel, son-
dern eine sich aus der Feuchtigkeit des Gehirns ergebende zwangs-
läufige Folge, sie wird aber sekundär dem Schutz der Augen dienstbar
gemacht (658 b 14ff.)40. Es kommt hier nicht darauf an, daß die ins
Auge gefaßten Organisationsprozesse nach unserer Kenntnis sehr viel
komplizierter sind, als Aristoteles ahnte. Nichtsdestoweniger muß mei-
nes Erachtens zugegeben werden, daß Aristoteles’ Auffassung, daß die
genannten Funktionen nicht von vornherein in der organischen Ent-
wicklung angelegt sind, nach modernen Begriffen sehr vernünftig ist
und sich mit der Vorstellung einer uneingeschränkten Teleologie unter
Ausschluß von Wirkursachen überhaupt nicht verträgt.
40 Derselbe Erklärungstypus ist auch in De gen. an. gebräuchlich. Dafür ein Bei-
spiel: Am Ende der Schwangerschaft braucht der Fötus nur noch geringe Nah-
rung. Es kommt daher zu einem Stau des Überschusses, der schließlich in die
Brüste schießt und sekundär der Ernährung der Säuglinge dient (De gen. an.
A 8).
23.
Aristoteles ist also weit davon entfernt, den ganzen Organismus als eine
zweckbestimmte Konstruktion aus einem Guß zu betrachten. Ihm ist
nicht entgangen, daß bestimmte Ergebnisse des Organbildungsprozesses
nicht primär auf den Zweck hin angelegt sein können, den sie erfüllen.
Nicht in allen Fällen fügen sich Entstehungs- und Zweckursachen so
bruchlos zusammen, wie - für ihn - im Falle von Herz und Lunge. Die
uns durch die Evolutionstheorie geläufige Tatsache, daß bestimmte
Organbildungen erst im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Arten
ihre heutige Funktion erhalten haben, konnte Aristoteles nicht kennen,
aber er hat intuitiv aufgrund seines Studiums des Aufbaues des Orga-
nismus den sekundären Charakter vieler Funktionen von Körperorganen
erkannt.
Dafür einige Beispiele: Aristoteles erklärt in De part. an. A 3.677
b 21 ff. die Entstehung des Omentum, des Netzes, jener den größten Teil
des Darms bedeckenden Bauchfellduplikatur, aus der physikalisch-
chemischen Tatsache, daß immer dann, wenn eine Mischung aus Hartem
und Flüssigem erwärmt wird, der äußere Rand hautartig und membran-
artig wird. Die Entstehung der dicken Haut des Netzes ist für ihn also
ein zwangsläufiger Begleitumstand bei der Entstehung des Darms. Sekun-
där erfüllt das Netz dann die Funktion, durch seine Wärmewirkung die
Verdauung der Nahrung zu verbessern. Ähnlich entsteht nach 672 a lff.
das Nierenfett zwangsläufig aus Rückständen bei der Filtrierung des
Harns und ist somit ein Überschußprodukt. Sekundär dient es dann
der Warmhaltung der Nieren. Auch das Auftreten von Augenbrauen
und Wimpern ist nach seiner Meinung kein ursprüngliches Ziel, son-
dern eine sich aus der Feuchtigkeit des Gehirns ergebende zwangs-
läufige Folge, sie wird aber sekundär dem Schutz der Augen dienstbar
gemacht (658 b 14ff.)40. Es kommt hier nicht darauf an, daß die ins
Auge gefaßten Organisationsprozesse nach unserer Kenntnis sehr viel
komplizierter sind, als Aristoteles ahnte. Nichtsdestoweniger muß mei-
nes Erachtens zugegeben werden, daß Aristoteles’ Auffassung, daß die
genannten Funktionen nicht von vornherein in der organischen Ent-
wicklung angelegt sind, nach modernen Begriffen sehr vernünftig ist
und sich mit der Vorstellung einer uneingeschränkten Teleologie unter
Ausschluß von Wirkursachen überhaupt nicht verträgt.
40 Derselbe Erklärungstypus ist auch in De gen. an. gebräuchlich. Dafür ein Bei-
spiel: Am Ende der Schwangerschaft braucht der Fötus nur noch geringe Nah-
rung. Es kommt daher zu einem Stau des Überschusses, der schließlich in die
Brüste schießt und sekundär der Ernährung der Säuglinge dient (De gen. an.
A 8).