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Wolfgang Kullmann
Diese sekundäre Indienstnahme drückt Aristoteles vielfach so aus,
daß er sagt, daß die Natur einen bestimmten „Überschuß“ bei einem
anderen Prozeß zu einem neuen Ziel „benutzt“ oder eine bestimmte
zweckhafte Organisation im Körper zu einem weiteren Ziel zusätzlich
benutzt (KaTaxpfjTat, TtapaKaTaxefiTat)41. Auch wenn das nicht die
allgemeine Ausdrucksweise ist, stellt sich natürlich die Frage, ob Aristo-
teles damit der Natur „Motive“, „Absichten“ unterstellt; und damit
kommen wir zum dritten Punkt der modernen Kritik an Aristoteles. Es
kann kein Zweifel sein, daß Aristoteles auch in anderen Zusammen-
hängen eine entsprechende Ausdrucksweise häufig verwendet42. So sagt
er etwa De part. an. A 10.687 a 10ff., daß die Natur „wie ein vernünf-
tiger Mensch“ (KaOctitEQ avOponcog cppovipoc;) die einzelnen Organe
nach der Nützlichkeit unter den Lebewesen verteilt. Die Ökonomie der
Organbildung wird durch den Vergleich der Natur mit einem guten
Ökonomen unterstrichen (cbcnmQ otKovöpot; dryaOög, De gen. an. B 6.744
b 16f.). Vor allem wiederholt Aristoteles mehrfach den Satz, daß die
Natur (oder 'Gott und die Natur’) nichts Überflüssiges bzw. nichts um-
sonst tut43: De part. an. 658 a 8f., 661 b 23f., 691 b 4, 694 a 15, 695 b 19,
De gen. an. 739 b 19f., 741 b 4f., 744 a 36f. De resp. 476 a 12f„ vgl.
De cael. 271 a 33, 290 a 31, 291 b 13f., Pol. 1256 b 21. Vgl. auch die
Ausdrucksweise, daß die Natur es 'gut’ macht: sü Kai £(p£d,fj<; De gen.
an. B 1.733 b 1.
Eine Abwägung der Möglichkeiten, wie diese Redeweise zu verste-
hen ist, führt allerdings mit Sicherheit darauf, daß hier eine metaphori-
sche Ausdrucksweise vorliegt. Da Aristoteles nicht müde wird, die Ewig-
keit der Arten zu betonen, kann ein Herstellen von Arten und eine
Zuteilung von Organen an einzelne Arten nicht wörtlich gemeint sein.
Damit stimmt zusammen, daß diese Wirksamkeit der „Natur“ nicht
näher geschildert wird. Aristoteles benutzt diese Redewendung offen-
bar als Surrogat für die plastischeren platonischen Vorstellungen von
der Weltseele und vom Demiurgen44, wobei die größere Blässe des
41 Die Belege für diese Ausdrucksweise sind nach Bonitz, Index, und K. Bartels,
Das Techne-Modell in der Biologie des Aristoteles, Tübingen 1966 (= Diss.
Tübingen 1963), 76ff, 95ff.: De part. an. 659 a 34, 659 b 35, 662 a 20, 663 b 23,
663 b 33, 671 b 1, 677 a 15, 677 b 30, 679 a 30, 688 a 23, 689 a 5, 690 a 1, De
gen. an. 738 b 1.
42 Vgl. hierzu die Zusammenstellung bei K. Bartels a.a.O. 97ff.
43 Vgl. außer Bartels Bonitz, Index 447 b 5ff., 580 b 52ff. s.v. parr]v, nEQieQyo<;.
44 Vgl. auch W. Theiler, Zur Geschichte der teleologischen Naturbetrachtung bis
auf Aristoteles (11925) Berlin 21965, 84f.
Wolfgang Kullmann
Diese sekundäre Indienstnahme drückt Aristoteles vielfach so aus,
daß er sagt, daß die Natur einen bestimmten „Überschuß“ bei einem
anderen Prozeß zu einem neuen Ziel „benutzt“ oder eine bestimmte
zweckhafte Organisation im Körper zu einem weiteren Ziel zusätzlich
benutzt (KaTaxpfjTat, TtapaKaTaxefiTat)41. Auch wenn das nicht die
allgemeine Ausdrucksweise ist, stellt sich natürlich die Frage, ob Aristo-
teles damit der Natur „Motive“, „Absichten“ unterstellt; und damit
kommen wir zum dritten Punkt der modernen Kritik an Aristoteles. Es
kann kein Zweifel sein, daß Aristoteles auch in anderen Zusammen-
hängen eine entsprechende Ausdrucksweise häufig verwendet42. So sagt
er etwa De part. an. A 10.687 a 10ff., daß die Natur „wie ein vernünf-
tiger Mensch“ (KaOctitEQ avOponcog cppovipoc;) die einzelnen Organe
nach der Nützlichkeit unter den Lebewesen verteilt. Die Ökonomie der
Organbildung wird durch den Vergleich der Natur mit einem guten
Ökonomen unterstrichen (cbcnmQ otKovöpot; dryaOög, De gen. an. B 6.744
b 16f.). Vor allem wiederholt Aristoteles mehrfach den Satz, daß die
Natur (oder 'Gott und die Natur’) nichts Überflüssiges bzw. nichts um-
sonst tut43: De part. an. 658 a 8f., 661 b 23f., 691 b 4, 694 a 15, 695 b 19,
De gen. an. 739 b 19f., 741 b 4f., 744 a 36f. De resp. 476 a 12f„ vgl.
De cael. 271 a 33, 290 a 31, 291 b 13f., Pol. 1256 b 21. Vgl. auch die
Ausdrucksweise, daß die Natur es 'gut’ macht: sü Kai £(p£d,fj<; De gen.
an. B 1.733 b 1.
Eine Abwägung der Möglichkeiten, wie diese Redeweise zu verste-
hen ist, führt allerdings mit Sicherheit darauf, daß hier eine metaphori-
sche Ausdrucksweise vorliegt. Da Aristoteles nicht müde wird, die Ewig-
keit der Arten zu betonen, kann ein Herstellen von Arten und eine
Zuteilung von Organen an einzelne Arten nicht wörtlich gemeint sein.
Damit stimmt zusammen, daß diese Wirksamkeit der „Natur“ nicht
näher geschildert wird. Aristoteles benutzt diese Redewendung offen-
bar als Surrogat für die plastischeren platonischen Vorstellungen von
der Weltseele und vom Demiurgen44, wobei die größere Blässe des
41 Die Belege für diese Ausdrucksweise sind nach Bonitz, Index, und K. Bartels,
Das Techne-Modell in der Biologie des Aristoteles, Tübingen 1966 (= Diss.
Tübingen 1963), 76ff, 95ff.: De part. an. 659 a 34, 659 b 35, 662 a 20, 663 b 23,
663 b 33, 671 b 1, 677 a 15, 677 b 30, 679 a 30, 688 a 23, 689 a 5, 690 a 1, De
gen. an. 738 b 1.
42 Vgl. hierzu die Zusammenstellung bei K. Bartels a.a.O. 97ff.
43 Vgl. außer Bartels Bonitz, Index 447 b 5ff., 580 b 52ff. s.v. parr]v, nEQieQyo<;.
44 Vgl. auch W. Theiler, Zur Geschichte der teleologischen Naturbetrachtung bis
auf Aristoteles (11925) Berlin 21965, 84f.