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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0045
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Die Teleologie in der aristotelischen Biologie

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nicht in Frage kommt. Zugleich ist klar, daß die zielgerichtete Entwick-
lung eine Entstehungsursache nicht ausschließt. Aristoteles’ zweite Frage
ist, ob alle übrigen Teile zugleich oder nacheinander entstünden. Für die
zweite Lösung entscheidet er sich aufgrund der Wahrnehmung (aicr0r|-
oig), wie er ausdrücklich sagt. Dabei schließt er auch die Möglichkeit
von Irrtümern infolge der Kleinheit der Beobachtungsobjekte aus: Die
Lunge, die größer sei als das Herz, erscheine in der embryonalen Ent-
wicklung später als dieses (734 a 21flf, vgl. B 4.740 a 3f.). Höchstwahr-
scheinlich stützt sich Aristoteles in diesem Falle vor allem auf Beob-
achtungen am Hühnerei69. Die Bestimmtheit, mit der er sich auf die
Wahrnehmung beruft, macht es natürlich unmöglich, daß er hier ledig-
lich die Ansicht eines Älteren, etwa des Empedokles, zitiert70. Die suk-
zessive Entstehung der Organe steht für ihn also fest, eine Präformation
aller Teile ist ausgeschlossen. Anschließend fragt Aristoteles, wie der
Entstehungsprozeß im einzelnen vonstatten geht. Entsteht das eine Or-
gan durch das andere oder eines nach dem anderen? (734 a 25ff.) Ari-
stoteles fragt also, ob etwa das Verhältnis Herz-Leber in Bezug auf
seine Entstehung dem Verhältnis Vater-Sohn entspricht. Entspricht die
Genese der Organe der Genese der Individuen im ganzen? Dies wird für
unmöglich erklärt, weil in diesem Falle die Form der Leber schon im
Herzen vorhanden sein müßte wie die des Sohnes im Vater (und analog
die Form des Hauses im Kopf des Baumeisters). Aristoteles stellt sich
den Ablauf vielmehr in der Art einer Kettenreaktion vor, ähnlich der
Art, wie automatische Marionetten funktionieren, indem das Herz den
ihm überkommenen Bewegungsimpuls 'mechanisch’ weiterleitet. Er leug-
net also, daß man berechtigt ist, die Gesetzmäßigkeiten der 'natürlichen’
Entstehungsabläufe im Bereich der Makrostrukturen der Arten auf die
Mikrostrukturen der Organentstehung zu übertragen, wie dies unter
anderem die Anhänger der Präformationstheorie taten. Im Bereich der
Mikrostruktur der Körperteile gelten seiner Meinung nach 'mechani-
sche’ Gesetze71. Über viele Einzelheiten dieses Prozesses ist er, wie er
selbst zum Ausdruck bringt, durch Beobachtungen an verschiedenen
Tierarten unterrichtet. Im Verlaufe seines Werkes teilt er umfangreiche
Beobachtungen zur Embryologie des Menschen und der Säugetiere, der
Vögel, der Knochen- und Knorpelfische und der Cephalopoden mit und
69 Vgl. J. Needham, A History of Embryology, 2nd ed. rev. with the assistance of
A. Hughes, Cambridge 1959, 47, sowie Aristoteles’ Mitteilungen zur Entwick-
lung des Vogeleis Hist. an. Z 3.561 a 4ff.; De gen. an. T passim, bes. T 3.
70 Dieser hatte bereits das Herz als erstes Organ angesehen (VS. 31 A 84).
71 Weiteres dazu s. unten S. 48ff.
 
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