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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0063
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Die Teleologie in der aristotelischen Biologie

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lieh verwendet Monod den Begriff der Teleonomie, unter der er die
Eigenschaft versteht, daß etwas ein Objekt ist, das mit einem Plan
ausgestattet ist, den es gleichzeitig in seiner Struktur darstellt und durch
seine Leistungen ausführt110. Nichts anderes aber meint Aristoteles,
wenn er von einer Zielgerichtetheit spricht, mit der ein Lebewesen sein
eigenes Eidos reproduziert.
Aristoteles’ Anschauungen stimmen auch mit der entscheidenden
These der modernen Molekularbiologie zusammen, daß - in der Sprache
Monods formuliert - die invariante Reproduktion der Arten aufgrund
teleonomischer Information nach streng kausalen, „technischen“, ge-
nauer nach chemischen Gesetzmäßigkeiten abläuft. Durch die Ent-
deckung der unterschiedlichen Funktion der Nukleinsäuren einerseits,
die die genetische Invarianz verbürgen, und der Proteine, die für die
teleonomischen Strukturen und Leistungen verantwortlich sind, ande-
rerseits112, erweist sich, daß die aristotelische Vorstellung einer pro-
grammierten zielgerichteten Epigenesis in ihrem wesentlichen Kern der
Realität näher kommt als manche andere Theorie neueren Datums. Die
von Aristoteles postulierten Impulse entsprechen sozusagen in der Funk-
tion den Nukleinsäuren. Auch Monod spricht in diesem Zusammen-
hang ganz wie Aristoteles von einem epigenetischen Prozeß, bei dem die
Gesamtorganisation schon potentiell (en puissance) in der Struktur der
Bestandteile vorhanden ist112. Damit aber zeigt sich, daß sich in der
Reproduktion die Natur auch nach den Vorstellungen der modernen
Molekularbiologie technomorph verhält und daß Aristoteles’ Modell
nicht im Sinne von Topitsch und anderen ideologiekritisch abgewertet
werden kann. Ohne dieselbe teleologische Komponente ist auch das
moderne Modell nicht denkbar.
Eine Frage, die Aristoteles nicht beschäftigt, ist natürlich die Frage
der Entstehung solcher autonomen Reproduktionen invarianter Objekte
mit teleonomischem Apparat oder, in der Sprache der Kybernetik aus-
gedrückt, solcher Selbstregulationssysteme, wie es die Arten sind. Es
lag Aristoteles fern, auch die Entstehung der Arten entsprechend erklä-
ren zu wollen; denn er geht aufgrund der ihm vorliegenden Beobachtun-
gen von der absoluten, ewigen Invarianz (im Sinne Monods) der Arten
aus und versucht deshalb nicht, den Bereich der lebendigen, beseelten
Natur in die leblose Natur einzugliedern. Noch ferner lag ihm natür-
110 A.a.O. 25 (= dt. Ausgabe 17).
111 Vgl. dazu außer Monod z. B. Alfred Kühn, Grundriß der Vererbungslehre,
Heidelberg 61973, 46ff.
112 A.a.O. 117 (= dt. Ausgabe 111).
 
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