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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0065
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Die Teleologie in der aristotelischen Biologie

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lieh des Menschen ansahen. Gerade die Tatsache, daß Aristoteles die
Epigenesislehre vertreten hatte, war dieser Lehre abträglich115. Diese
antiaristotelische Voreingenommenheit im 17. und 18. Jahrhundert
macht sich noch im 19. Jahrhundert bei Charles Darwin - wohl unbe-
wußt - bemerkbar, der in seinem Buch “The Variation of Animais and
Plants under Domestication”, London 1868, seine “provisional hypo-
thesis of pangenesis” aufstellte. Es ist erstaunlich, wie seltsam und
logisch anfechtbar diese vor hundert Jahren konzipierte Lehre ange-
sichts der alten aristotelischen Einsichten noch anmutet. Aus allen Zel-
len des gesamten Körpers sollen danach kleine Keime, „gemmules“,
abgegeben werden, die in jedem kleinsten Ei oder Samen enthalten sind
und die Reproduktion und Vererbung regeln, und zwar meist in der
folgenden Generation, die unter Umständen aber auch viele Genera-
tionen hindurch latent zu den Nachkommen überliefert werden116. Man
möchte meinen, daß auch hier der tradierte antiaristotelische Affekt
eine fehlerhafte Theorie begünstigt hat. Dabei gelten manche von Ari-
stoteles gegen Demokrit formulierte Argumente auch noch gegen Dar-
wins Theorie. Ein eigentümliches Resultat der Nachwirkung des Ari-
stoteles ist auch die Tatsache, daß Driesch seine experimentellen Ergeb-
nisse, die die relative Undeterminiertheit bestimmter Eizellen erweisen
und damit die aristotelische Epigenesistheorie endgültig bestätigen, so
auswertete, daß dabei noch eine weitere vermeintlich ganz aristoteli-
sche Position heraussprang, der Vitalismus117. In Wirklichkeit hat Ari-
stoteles einen Vitalismus in dem von Driesch gemeinten Sinne, wie
seine Impulstheorie belegt, gar nicht vertreten. Drieschs Vitalismus hat
vielmehr seine eigentlichen Wurzeln erst im 17. und 18. Jahrhundert.
Zu denken gibt schließlich, daß es jetzt, nachdem die Ergebnisse der
Experimentalbiologie Spemanns und anderer vorliegen, als Aufgabe der
Forschung empfunden wird, einen (auf neue verifizierende Beobach-
tungen zu gründenden) Ausgleich zwischen der prädeterministischen
Vorstellungsweise der Genetik und der epigenetischen Vorstellungsweise
115 Über die historische Entwicklung unterrichtet ausgezeichnet J. Needham, A
History of Embryology, 2Cambridge 1959.
116 Vgl. besonders a.a.O. II 374ff.
117 Daß Driesch seine Position als uneingeschränkt in der Tradition einer aristo-
telischen Position stehend ausgeben konnte, beruht nur darauf, daß die aristo-
telische Position im Laufe der Geschichte um ihren genetischen Aspekt verkürzt
wurde. Auf jeden Fall ist, wie Aristoteles selbst zeigt, die Verbindung von Epi-
genesistheorie und Vitalismus (in der Form Drieschs) nicht zwingend (vgl. auch
Needham a.a.O. 207).
 
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