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Hildebrecht Hommel
Aithiopis, die uns von der Entrückung des Achill nach Leuke berich-
tet,55 soll - nach alten Angaben - der Milesier Arktinos gewesen sein.
Der Sagenzug von Achills Entrückung nach Leuke beruht letztlich
auf einer deutlichen Kombination des homerischen, in den Jahrhunder-
ten der <Aufklärung‘ zum Heros gewordenen Achill mit dem alten Gott
Achilleus, dem man fortan auf der Insel und auf dem nahen Festland
erstmals wieder göttliche Verehrung zollte.56 Denn daß der Gott das
Primäre war, und daß er im Kult der Insel als ihr Beherrscher eine abso-
lut entscheidende Rolle spielte, darüber kann kein Zweifel sein, wie wir
ebenfalls eingangs bereits aus zahlreichen Quellen und Indizien entneh-
men konnten.57 Wenn dem so ist, so muß natürlich im Bewußtsein der
55 Proklos, Chrestomathie ed. A. Severyns 1963, 199f. nach der Aithiopis des Arktinos;
zu dessen milesischer Herkunft vgl. bereits E. Bethe RE II 1896, 1172, und in unse-
rem Zusammenhang Fr. Focke, Hermes 82. 1954, S. 27lo. Ferner ohne Nennung von
Leuke (nur νήσοις δ’ έν μακάρων) das alte Skolion auf Harmodios und Aristogeiton
(Scolia anonyma 11 Diehl) sowie ganz ähnlich Platon, Symposion 179 E und 180 B.
Vgl. a. Pindar, Ol. 2,79f. und dazu oben S. 18. Zu diesem Fragenkomplex s.a. P. Capel-
le, Elysium . . . Arch. f. Rel.-Wiss. 25. 1927, S. 252ff. Speziell zu Arktinos s. die Aus-
führungen von A. Dihle, Homer-Probleme 1970, S. 146ff. mit weiterer Literatur.
56 'Wilamowitz, Glaube der Hellenen 2II 9f., Anm. 4 spricht es eindeutig aus: «Achilleus
ist kein ήρως» (sofern er organisierten Kult besitzt) «Er ist zu dem Gott erhoben,
wenn er über Skythien herrscht» (dies im Blick auf Alkaios fr. 14 D.). «Ihn hatten die
Milesier . . . zum Herren des Landes gemacht,. . .». Freilich steht bei Wilamowitz da-
hinter noch die Anschauung, erst die Milesier hätten den Achill «zum Gott erhoben».
Neuerdings gibt mir Fritz Gschnitzer zu bedenken, Achill müsse in mykenischer Zeit
Heros gewesen sein und sei dann erst sekundär zum Gott erhoben worden, da in Line-
ar B <Achilleus> als Personenname erscheine, was einen Gott als primären Träger die-
ses Namens ausschließe (zu dieser Frage s. Emst Fraenkel RE XVI 1935, Sp. 1642f.).
Er verweist dazu auf Oscar Landau, Mykenisch-griechische Personennamen, Diss.
Göteborg 1958. Dort ist auf S. 19 ein <A-ke-[re?]-u> in Pylos, und ein <A-ki-re-u> in
Knossos belegt (vgl. Pylos Tablets 1. 1973, Fn 79,2 S. 147. - Knossos Tablets 41971,
Vc 106 S. 310). Doch schon D. Page, History and the Homeric Iliad 1959, S. 197f.
stellt die Identifizierung dieser Formen mit <Achilleus> ihrer Mehrdeutigkeit wegen in
Frage, so daß wir uns auf recht unsicherem Boden befänden. Aber selbst wenn die
Identität bestünde, für die jetzt L. R. Palmer wieder mit Nachdruck eintritt (Serta Phi-
lologien Aenipontana III 1979, S. 258f.), so wäre vielmehr zu bedenken, ob der von
mir postulierte alte Totengott Achilleus ursprünglich nicht etwa <Acheloos> o.ä. gehei-
ßen haben könne (vgl. dazu unten S. 38f. mit den Anmerkungen, bes. Anm. 108, ferner
unten S. 39f.), und ob dann nicht erst nach der Vermischung mit dem Heros sein Name
diesem angeglichen sein mag. Selbst Palmer (a.O. 259is) faßt, wie ich nachträglich se-
he, eine Namensänderung als möglich ins Auge: «Akhilleus will have replaced an ear-
lier name.»
57 E. Rohde, Psyche 2I 183 m. Anm. 3 weicht aus und nimmt eine ganz unentschiedene
Stellung ein, indem er sagt: «Achill galt bald als Heros, bald als Gott». Versuche bei-
des zu unterscheiden jetzt auch bei D. Kemp-Lindemann a.O. (ob. Anm. 24), S. 242
Hildebrecht Hommel
Aithiopis, die uns von der Entrückung des Achill nach Leuke berich-
tet,55 soll - nach alten Angaben - der Milesier Arktinos gewesen sein.
Der Sagenzug von Achills Entrückung nach Leuke beruht letztlich
auf einer deutlichen Kombination des homerischen, in den Jahrhunder-
ten der <Aufklärung‘ zum Heros gewordenen Achill mit dem alten Gott
Achilleus, dem man fortan auf der Insel und auf dem nahen Festland
erstmals wieder göttliche Verehrung zollte.56 Denn daß der Gott das
Primäre war, und daß er im Kult der Insel als ihr Beherrscher eine abso-
lut entscheidende Rolle spielte, darüber kann kein Zweifel sein, wie wir
ebenfalls eingangs bereits aus zahlreichen Quellen und Indizien entneh-
men konnten.57 Wenn dem so ist, so muß natürlich im Bewußtsein der
55 Proklos, Chrestomathie ed. A. Severyns 1963, 199f. nach der Aithiopis des Arktinos;
zu dessen milesischer Herkunft vgl. bereits E. Bethe RE II 1896, 1172, und in unse-
rem Zusammenhang Fr. Focke, Hermes 82. 1954, S. 27lo. Ferner ohne Nennung von
Leuke (nur νήσοις δ’ έν μακάρων) das alte Skolion auf Harmodios und Aristogeiton
(Scolia anonyma 11 Diehl) sowie ganz ähnlich Platon, Symposion 179 E und 180 B.
Vgl. a. Pindar, Ol. 2,79f. und dazu oben S. 18. Zu diesem Fragenkomplex s.a. P. Capel-
le, Elysium . . . Arch. f. Rel.-Wiss. 25. 1927, S. 252ff. Speziell zu Arktinos s. die Aus-
führungen von A. Dihle, Homer-Probleme 1970, S. 146ff. mit weiterer Literatur.
56 'Wilamowitz, Glaube der Hellenen 2II 9f., Anm. 4 spricht es eindeutig aus: «Achilleus
ist kein ήρως» (sofern er organisierten Kult besitzt) «Er ist zu dem Gott erhoben,
wenn er über Skythien herrscht» (dies im Blick auf Alkaios fr. 14 D.). «Ihn hatten die
Milesier . . . zum Herren des Landes gemacht,. . .». Freilich steht bei Wilamowitz da-
hinter noch die Anschauung, erst die Milesier hätten den Achill «zum Gott erhoben».
Neuerdings gibt mir Fritz Gschnitzer zu bedenken, Achill müsse in mykenischer Zeit
Heros gewesen sein und sei dann erst sekundär zum Gott erhoben worden, da in Line-
ar B <Achilleus> als Personenname erscheine, was einen Gott als primären Träger die-
ses Namens ausschließe (zu dieser Frage s. Emst Fraenkel RE XVI 1935, Sp. 1642f.).
Er verweist dazu auf Oscar Landau, Mykenisch-griechische Personennamen, Diss.
Göteborg 1958. Dort ist auf S. 19 ein <A-ke-[re?]-u> in Pylos, und ein <A-ki-re-u> in
Knossos belegt (vgl. Pylos Tablets 1. 1973, Fn 79,2 S. 147. - Knossos Tablets 41971,
Vc 106 S. 310). Doch schon D. Page, History and the Homeric Iliad 1959, S. 197f.
stellt die Identifizierung dieser Formen mit <Achilleus> ihrer Mehrdeutigkeit wegen in
Frage, so daß wir uns auf recht unsicherem Boden befänden. Aber selbst wenn die
Identität bestünde, für die jetzt L. R. Palmer wieder mit Nachdruck eintritt (Serta Phi-
lologien Aenipontana III 1979, S. 258f.), so wäre vielmehr zu bedenken, ob der von
mir postulierte alte Totengott Achilleus ursprünglich nicht etwa <Acheloos> o.ä. gehei-
ßen haben könne (vgl. dazu unten S. 38f. mit den Anmerkungen, bes. Anm. 108, ferner
unten S. 39f.), und ob dann nicht erst nach der Vermischung mit dem Heros sein Name
diesem angeglichen sein mag. Selbst Palmer (a.O. 259is) faßt, wie ich nachträglich se-
he, eine Namensänderung als möglich ins Auge: «Akhilleus will have replaced an ear-
lier name.»
57 E. Rohde, Psyche 2I 183 m. Anm. 3 weicht aus und nimmt eine ganz unentschiedene
Stellung ein, indem er sagt: «Achill galt bald als Heros, bald als Gott». Versuche bei-
des zu unterscheiden jetzt auch bei D. Kemp-Lindemann a.O. (ob. Anm. 24), S. 242