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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 1. Abhandlung): Der Gott Achilleus: vorgetr. am 5. Mai 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45478#0045
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Der Gott Achilleus

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lamowitz angenommen hat, das Ganze sei überhaupt erst eine Erfin-
dung dieses Dichters.95
Bei Euripides mündet in der <Aulischen Iphigenio nach mancherlei
Verwicklungen, die gewiß der Phantasie des Tragikers entsprungen sein
mögen, die Handlung wieder in ältere Sagenüberlieferung ein:96 die
Jungfrau wird der Göttin geopfert, aber von dieser im letzten Augen-
blick — nicht etwa gerettet und dem diesseitigen Leben wiedergegeben,
sondern ins Jenseits entrückt und dort dem Dienst der Göttin geweiht.
Da es sich dabei um das Gebiet handelt, in das auch der Heros Achill
nach seinem Tode versetzt worden ist, um dort wieder göttliche Züge
anzunehmen, und da nach einer antiken Sagenversion Iphigenie auf
Leuke als Gattin des Achilleus (Άχιλλεΐ σύνοικος) und als αθάνατος
δαίμων erscheint,97 so liegt der Schluß nahe, daß seine Gefährtin in ei-
ner älteren Schicht des Mythos selber dort als Herrin der Toten an
Achilleus’ Seite waltete, um wie Polyxene, ja sozusagen als deren Dop-
pelgängerin, die Toten <gastlich aufzunehmen>. Zu ihrer Konfrontierung
mit Polyxene98 muß es übrigens ermuntern, daß für beider nahe Zusam-
mengehörigkeit, ja Identität in der alten Sage auch der Umstand spricht,

95 JViZamcwz’Zz in einem Exkurs <Iphigeneia> im Hermes 18. 1883, S. 249-263, hier S.
250f. (vgl. a. Kjellberg RE IX 2603, 3 Iff.). Ihm stellt sich die Sache des weiteren so
dar, daß Achilleus erst, als er «auf die Insel Leuke versetzt und diese (ursprünglich
mythisch, die lichte Insel der Seligen, ...) an dem skythischen Gestade localisiert war,
... der Nachbar von Iphigeneia, der taurischen Göttin, geworden» sei. «Das warf eine
Spiegelung in sein irdisches Leben.» Später legt es sich der gleiche Forscher so zurecht
(Glaube der Hellenen I 1931, S. 18li = 2I 1955, S. 178o), daß sogar die Entrückung
der Iphigeneia zu den Taurern «Erfindung eines einzelnen, doch wohl des Euripides»
sei. Ich zitiere diese schwankenden Spekulationen des hochverehrten Lehrers deshalb,
weil sie bezeichnend sind für die bisherige Forschungslage, der das hohe Alter der
Mythen um Achill und Iphigenie und ihre von Anfang an enge Zusammengehörigkeit
nicht bewußt geworden ist. Siehe dazu im einzelnen weiter unten im Text und vgl. a.
C. Robert, Die griechische Heldensage, S. 1095ff. (1923). Fr. Jouan a.O. 265.
96 Siehe dazu Fr. Jouan a.O. (ob. Anm. 85) S. 259-298 (vgl. a. S. 43 Iff.), wo dem Ver-
hältnis der Aulischen Iphigenie des Euripides zur epischen Überlieferung, vor allem
zu den Kyprien des Stasinos, bis ins einzelne nachgegangen wird (Ewald Kurtz hat
mich auf diese gründliche und gelehrte Untersuchung freundlich aufmerksam ge-
macht).
97 Antoninus Liberalis 27 (Mythographi Graeci II 1. 1896 ed. Martini), vgl. Ammianus
Marcelhnus XXII 8,34f.
98 Daß Polyxene als eine Art von Double der Iphigeneia aufgefaßt werden muß, wirkt in
der Behandlung des Stoffes durch die Tragiker des 5. Jh. und weiter bis Seneca nach.
So spricht denn W. H. Friedrich, Euripides und Diphilos ... 1953, S. 35ff. 98ff. u.ö.,
dem es ausschließlich auf die dichterische Behandlung des Sagengutes ankommt, im-
mer wieder von der Nachbildung der Iphigeneiahandlung durch die Polyxeneszenen.
 
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