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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 1. Abhandlung): Der Gott Achilleus: vorgetr. am 5. Mai 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45478#0046
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Hildebrecht Bommel

daß die jüngere bei Euripides vorliegende Sagenversion die beiden ge-
wissermaßen paritätisch aufgeteilt hat, indem sie die eine zur Tochter
des Trojanerkönigs, die andere zu der des Griechenheerführers ge-
macht hat. Diese jüngere Sage hat bei Iphigenie die Herrschaft über die
Toten so erklärt bzw. umgedeutet, daß sie als Artemispriesterin jeden
Fremden, der das taurische Tand betritt, im Dienst der Göttin umzu-
bringen hatte. So berichtet es Herodot und so Euripides in der Nauti-
schen Iphigenie>."
Die uns vornehmlich aus diesem Drama bekannte Sage, die später
Goethe neu gestaltet und humanisiert hat, enthält aber noch weitere
Züge, die sich unschwer mit unserer These vereinigen lassen, daß nach
alter Überlieferung Iphigenie zusammen mit Achill im Skythenland
über das Totenreich geherrscht habe. Denn der bei Euripides und an-
derwärts als König von Taurien erscheinende Thoas99 100 dürfte nach al-
lem bisher Erschlossenen letztlich nichts anderes sein als eine rationali-
sierte und ins Diesseits versetzte Dublette des Gottes Achilleus. Dafür
möchte auch der Name Thoas sprechen, der doch wohl mit griechisch
’θοός <schnell> zusammenhängt101 und also zum πόδας ώκύς Achilleus
sich aufs beste fügt. Das Epitheton hätte dann wohl letzten Endes als
Beiname des alten Totengottes zu gelten, der in <heroischen> Zeiten ja
vornehmlich jäh und plötzlich über den Menschen herfällt, so wie es bei
uns noch in einem durch Schiller populär gewordenen Lied heißt:
<Rasch tritt der Tod den Menschen an ...>.102 Und Goethe hätte im Sinn
der ältesten Sagenversion einen vortrefflichen Instinkt bewiesen, indem
er in seinem Drama den König Thoas um die Hand der Priesterin Iphi-
genie werben läßt und diese dann durch einen Verwechslungstrick ganz
99 Herodot IV 103. Euripides IT 34ff., dazu zuletzt D. Sansone, Rhein. Mus., N. F. 121.
1978, S. 35ff.
100 Siehe die Artikel <Thoas> von O. Immisch in Roschers Myth. Lex. V (1916ff.) Sp.
814ff., und von K. Scherling RE S VII (1940) Sp. 1563ff. mit den Quellenangaben.
101 Hj. Frisk, Gr. etymol. Wtrbch. I 1960, S. 668 s. v. θέω. P. Chantraine, Dict. etymol.
de la langue gr. II 1970, S. 433 unter dem gleichen Lemma. Euripides selber erklärt
IT 32f. den Namen des Königs Thoas als ώκύς πόδα, den er ποδωκειας χάριν erhal-
ten habe; s. Immisch a.O. 802.
102 Fr. Schiller, Wilhelm Teil, Ende des 4. Akts. Zum Namen des Todesdaimons Thoas,
<der Schnelle^ vgl. a. Scherling a.O. 1563, 6ff. 1565, 5ff. Eine rationalistische Erklä-
rung des πόδας ώκύς Άχιλλεύς u.ä. bietet D. Page a.O. (ob. Anm. 56) 255f., indem
er die Epitheta auf die Verfolgung Hektors durch Achill um die Mauern von Troja be-
zieht. Zu der antiken Version, wonach Achill seine Schnellfüßigkeit einer Manipula-
tion des Kentauren Cheiron verdankt habe, s. D. Kemp-Lindemann a.O. (ob. Anm.
24), S. 3.
 
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