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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 11. Abhandlung): Marsilio Ficinos Theorie des Schoenen im Kontext des Platonismus: vorgetragen am 28. Juni 1980 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45488#0016
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Werner Beierwaltes

heute schön und morgen nicht, nicht mit dem einen verglichen
schön, mit einem anderen häßlich, nicht da schön, dort aber häßlich,
für die einen schön, für andere dagegen häßlich, noch auch wird ihm
das Schöne erscheinen als ein Antlitz oder Hände oder sonst irgend-
etwas, woran der Körper teilhat, noch als irgendeine Rede oder ein
Wissen, noch als etwas, das an irgendeiner Sache ist, etwa an einem
Lebewesen, an der Erde, am Himmel oder sonstwo, sondern als das
Schöne selbst, an sich und für sich, eingestaltig immer seiend,
während alles andere Schöne etwa derart an ihm teilhat, daß dies
andere zwar entsteht und vergeht, es selbst aber in nichts sich ver-
größert oder verringert noch irgendeine Einwirkung erfährt“14. Damit
ist gesagt, daß das Schöne an sich als Idee Grund des vielheitlichen
Schönen und als solcher zeitfrei ist, aber in seiner zeithaften Erschei-
nung wirkt, daß es nicht relativ im umfassenden Sinne ist und damit
auch nicht eingeschränkt auf bestimmte Hinsichten des Ortes und
der Zeit, sondern vielmehr 'absolut’ es selbst, daß es ferner nichts
Bestimmtes oder Einzelnes ist („Antlitz oder Hände“), qualitativ
außer seinem Eigen-Sein nicht weiter bestimmbar, auch nicht der
Kategorie der Quantität unterworfen, nichts an oder in einem An-
deren, also kein einem Anderen Zukommendes, sondern vielmehr
selbst reines In-sich-Sein, als solches aber Grund der Teilhabe alles
Anderen an ihm, was schön heißt und ist; als „Eingestaltiges“ der
eine mit sich identische und invariante Grund für seine vielfältige
Erscheinung - an sich, für sich oder mit sich selbst, d. h. in sich und
durch sich selbst schön. Die Evidenz dieses Schönen, „das isf, „rein,
klar, unvermischt“15, oder die Erkenntnis des Einen An-sich ist zu-
gleich die Erfüllung des erotischen Strebens: Einsicht in die Idee be-
deutet für den Menschen den allein lebenswerten Zustand16, seine
Glückseligkeit. Daß dies nicht einer solipsistischen Abkapselung in
einen „theoretischen Standpunkt“ gleichkommt, wird schon daraus
deutlich, daß der Denkende in der Idee des Schönen zugleich
das normative Prinzip von Tugend erkennt. Platons Überzeugung ist
es, daß „wahre Tugend“ im Ansichtig-Werden des Schönen nicht nur
„berührt“ wird, sondern daß eben diese Einsicht maß-gebend wird
für die reale „Zeugung“ der vollkommenen ethischen Grundhaltung

14 211 a b.
15 211 c 8; e 1.
16 211 d 2.
 
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