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Giovannini, Adalberto; Gottlieb, Gunther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 7. Abhandlung): Thukydides und die Anfaenge der athenischen Arche — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45484#0039
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Thukydides und die Anfänge der athenischen Arche 37
nach Kypros121. Allerdings nimmt man gewöhnlich an, daß nach die-
sem Feldzug die Athener mit den Persern einen Friedensvertrag, den sog.
Kailiasfrieden, abschlossen; aber das Schweigen des Thukydides über
einen solchen Vertrag und die Feindseligkeiten, die bald darauf zwischen
beiden Mächten wieder ausgebrochen sind, sind nach unserer Ansicht
der sichere Beweis, daß der Krieg wohl faktisch, nicht aber rechtlich
unterbrochen wurde122. Formell hat der Krieg gegen Persien, und damit

121 Thuk. I 112,2; vgl. oben S. 26f. mit Anm. 77.
122 Die Kontroverse über die Geschichtlichkeit des Kalliasfriedens hat schon im4.Jh.
v.Chr. mit Theopomp und Kallisthenes angefangen. Sie dauert an und wird wohl
nicht aufhören, solange es Althistoriker geben wird. Es ist vor allem eine Ermes-
sensfrage. Das Schweigen des Thukydides über diesen Vertrag halten wir im
Gegensatz zu Ed. Meyer, Forschungen II (1899) 71-80, Η. T. Wade-Gery,
Essays in Ancient History (1958) 201-232, D. Meiggs, The Athenian Empire
(1972) 140ff., G. E. Μ. de Ste. Croix, The Origins of the Peloponnesian War
(1972) 310-314, Carlos Schrader, La Paz de Calias (Barcelona 1976) u.a. für
entscheidend. Daß er einen Vertrag mit Persien in der Darstellung der Pente-
kontaetie übergangen hätte, wäre schon schlimm genug, wenn man bedenkt, daß
dieser Vertrag, wäre er wirklich zustande gekommen, das Verhältnis Athens zu
den Verbündeten grundsätzlich verwandelt hätte. Ganz unverständlich wäre es,
daß in ihrer Rede vor den Peloponnesiern im J. 427 (Thuk. III 9-14) die Mytile-
näer das beste Argument für ihren Abfall verschwiegen hätten, und daß in den
Verhandlungen der Athener und der Lakedaimonier mit Persien im J. 411 der
Vertrag von Thuk. kein einziges Mal erwähnt würde (s. die Ausführungen von
D. Stockton, Historia 8 [1959] 64-69). Ebenso entscheidend ist, daß beim Abfall
von Samos im J. 441/0 (Thuk. I 115) und zehn Jahre später beim Bürgerkrieg in
Notion (Thuk. III 34) der Satrap von Sardis, Pissuthnes, den Abtrünnigen Hilfe
leistet (vgl. Η. B. Mattingly, Historia 14 [1965] 279-281). Von Bedeutung ist
weniger die Hilfeleistung selbst als die Reaktion des Thukydides und der Athener
auf die Intervention des persischen Satrapen. Thukydides scheint nicht die gering-
ste Überraschung über das Verhalten des Pissuthnes zu empfinden, er gibt keines-
wegs den Eindruck, daß dieser damit einen bestehenden Vertrag verletzt hätte.
Ebensowenig haben die Athener daran Anstoß gefunden: von einem Protest
beim Großkönig oder bei Pissuthnes verlautet bei Thukydides nichts. Im Falle
von Samos wurde mit einem Angriff der persischen Flotte sogar gerechnet,
da ja die Athener ein Geschwader zur Beobachtung der persischen Flotte absand-
ten (Thuk. I 116,1: έτυχον γάρ αί μέν έπί Καρίας ές προσκοπήν των Φοινισσών
νεών οίχόμεναι, αί δ’ έπί Χίου καί Λέσβου περιαγγέλλουσαι βοηθεΐν). Sowohl
von Thukydides als auch von den Athenern sind die feindlichen Unternehmun-
gen des Pissuthnes als ganz normal und erwartet angesehen worden. Und dies
kann nur heißen, daß zwischen Athen und Persien damals eben Krieg und nicht
Friede der normale Zustand war.
 
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