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Alföldy, Géza; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 8. Abhandlung): Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft des Roemischen Kaiserreiches: Erwartungen u. Wertmassstäbe ; vorgetragen am 1. Dezember 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45485#0014
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Geza Alföldy

bewertet wurden - wo wir also sicher sein können, daß dem be-
treffenden Einzelnen etwas zugeschrieben wurde, was als für ihn
persönlich kennzeichnend galt, und wodurch er zugleich nach römi-
scher Empfindung eine eigenständige Rolle in der Familie oder in
der öffentlichen Gemeinschaft - in einem Verein, in einer Stadt-
gemeinde, in einem ordo, in einem größeren Personenverband
wie z. B. innerhalb der Bevölkerung einer Provinz oder gar des
gesamten Römischen Reiches - spielte.
Dabei möchte ich ein Quellenmaterial erschließen, das für unsere
Fragestellung eine fast unübersichtliche Fülle von Angaben liefert
und zugleich nicht nur in die Anschauungen und Empfindungen der
Aristokratie, sondern breiter Bevölkerungsschichten Einblick gewährt,
nämlich die Masse römischer Ehren- und Grabinschriften, in denen
immer wieder von den außergewöhnlichen, einzigartigen und einmali-
gen Verhaltensweisen und Handlungen einzelner Menschen die Rede
ist - ohne daß ich auch nur einen einzigen Gelehrten nennen
könnte, der das scheinbar unergiebige Vokabular dieser Inschriften
mit ihrem stereotypen Charakter für eine geistes- oder sozialgeschicht-
liche Studie der hier beabsichtigten Art ernsthaft beachtet hätte. Zu-
gleich möchte ich diese Quellen mit der biographischen und z.T.
auch mit der weiteren Literatur konfrontieren, wobei sich zeigen wird,
daß die verschiedenen Quellengattungen die gleichen Ideen wider-
spiegeln.
2.
Jedem, der in einem Inschriftencorpus blättert oder in einem Museum
epigraphische Denkmäler betrachtef fällt sofort auf, daß es in den rö-
mischen Inschriften von Superlativen wimmelt: Der gute Ehemann
wird im allgemeinen nicht als bonus vir, sondern als optimus vir
bezeichnet, die treue Ehefrau ist coniux fidelissima, der pflichtbe-
wußte Vater pater piissimus, der liebe Sohn filius carissimus', der
herausragende Patron ist patronus praestantissimus, der unbestech-
liche Beamte vir abstinentissimus, der gerechte Statthalter praeses
iustissimus, der spendefreudige Reiche vir indulgentissimusx(>; und der
16 Siehe etwa die Beispiele in nordafrikanischen Inschriften in der Liste der
'laudationum formulae’ in CIL VIII, Ind. 3, p. 340ff. Zur Häufigkeit ethischer
Begriffe in antiken Inschriften vgl. etwa R. Lattimore, Themes in Greek and
Latin Epitaphs (Urbana 1942) 290ff.
 
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