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Alföldy, Géza; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 8. Abhandlung): Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft des Roemischen Kaiserreiches: Erwartungen u. Wertmassstäbe ; vorgetragen am 1. Dezember 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45485#0017
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Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft

15

Die durch die Unübertrefflichkeit der Tugenden begründete Einzig-
artigkeit individueller Verhaltensweisen und Leistungen wird in den
Inschriften freilich nicht nur in der beschriebenen Art und Weise
betont. Vielmehr verfügen die Ehren- und Grabinschriften über ein
unmißverständliches und ausgeprägtes Vokabular, durch welches ge-
rade die Einzigartigkeit bei der Verwirklichung der Kollektivtugenden
zum Ausdruck gebracht werden sollte. Wohl gab es bei der An-
fertigung derartiger lobender Texte für die individuelle Gestaltung
des Sprachgebrauches einen gewissen Spielraum; dementsprechend
begegnen wir nicht selten Formulierungen, die entweder nur in
wenigen Fällen bezeugt sind oder gar nur jeweils einmal vorkommen
wie etwa co(ri)iux incomparatissimusf inaptabilis fem(jna)2i, in-
cognitae castitatis feminaf filius incredibilis pietatis27 28 29 30 u. ä. Vor allem
längere, elogienartige Texte weisen oft einen Hauch individuellen
Charakters auf. Dies ist der Fall, wenn die Ehrung etwa einem
patronus inimitabilis largissimus gebührt, cuius facta enaffari non
possuntf oder wenn man sagt: hae[c nul\lae feminae reliquit [lo\cum
quo illam praecederet, castissimae, fidelissimae, pientissimae, cuius
plura mirabilia bene facta persingula perscriberevolui, set(s\c) nusquam
neque tempus neque locus sufficiebaf1 32. Ähnlich klingt etwa das Lob auf
eine jung verstorbene Ärztin in Capua: Sie war eine incompara-
bilissima femina, queius (sic) de vitae document(is') non sufficit medio-
critas hominum at (sic) cumulum laudis pervenire. Fuit namque
iuvenis ista omni genere laudis condigna: primo deificae sanctitatis
pudicitiae, vallata honestate morum [in]nata;piaetas (sic) in parentibus
procliva, castitate inlustris [t]enacitatis, magistra ver{e)cundiae; antistis
(sic) disciplin[ae in] medicina fuit; et innocentiae singularis \f]alis fuit,
ut esset exemplum33. Doch sollten im folgenden nicht die beliebig zu
vermehrenden Beispiele für solche mehr oder weniger einmalige
Formulierungen vervollständigt, sondern die typischen oder gar
stereotypen Wendungen untersucht werden - denn vor allem sie ge-
währen uns einen Einblick in die allgemein verbreiteten Vorstellungen
darüber, was im Römischen Reich von dem Einzelnen an Eigenstän-
27 CIL VI 16086.
28 CIL X 8209; nach TLL VII 1 (1934) 832 ist das Adjektiv nur hier bezeugt.
29 CIL X 4885.
30 CIL XI 1368.
31 CIL X 1255 = ILS 6348; vgl. dazu auch CIL X 1255 und 1257.
32 CIL X 1909.
33 CIL X 3980 (cf. p. 976) = ILS 7805.
 
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