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Alföldy, Géza; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 8. Abhandlung): Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft des Roemischen Kaiserreiches: Erwartungen u. Wertmassstäbe ; vorgetragen am 1. Dezember 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45485#0049
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Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft

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Wir müssen nämlich dem Christentum die Verantwortung - oder
das Verdienst - zuweisen, daß den alten Wertvorstellungen Roms mit
der Bewältigung der Krise des 3. Jahrhunderts keine lange Zukunft
mehr beschieden war, und daß dadurch die Neubewertung der Stel-
lung des Einzelnen unvermeidlich wurde. Denn weder die Erlangung
der Weltherrschaft noch die Begegnung mit dem griechischen Geist
bewirkten in den Wertvorstellungen Roms und dementsprechend
auch in den Vorstellungen über den Wert des Einzelnen einen so
tiefgreifenden Wandel wie die christliche Lehre. Durch die Lehre
von Glaube und Nächstenliebe kam nicht nur eine neue Ethik,
sondern auch eine neue Anthropologie auf. Eigentlich steht schon in
den Briefen des Apostels Paulus alles Neue: Vor Gott sind zwar alle
Menschen gleich, denn alle sind Sünder154; aber die Menschen unter-
scheiden sich voneinander nach dem Maße ihres Glaubens, έκάστω
ώς ό ϋεδς έμέρισεν μέτρον πίστεως155; und dementsprechend, καϋάπερ
γάρ έν ένϊ σώματι πολλά μέλη έχομεν, τά δε μέλη πάντα ού την
αύτήν έχει πράξιν, ούτως οί πολλοί έν σώμα έσμεν έν Χριστώ, τό δε
καΰ’ εις άλλήλων μέλη136, wobei die einzelnen Menschen, έχοντες
δε χαρίσματα κατά τήν χάριν την δοϋεΐσαν ήμΐν διάφορα, unter-
schiedliche Funktionen ausüben157 - jedoch mit der gleichen Ver-
pflichtung, nämlich mit derjenigen der Nächstenliebe158. Nach dieser
Lehre sind die Menschen in erster Linie nicht mehr durch ihre so-
ziale Stellung und durch ihre Rollen in der Gesellschaft aufgrund
des nach der sozialen Konvention vorgeschriebenen Maßes von
liberalitas und ähnlichen Werten voneinander verschieden, sondern
durch das Maß des Glaubens, durch etwas ganz persönliches, was
sie zunächst nicht miteinander, sondern jeweils einzeln mit ihrem
Gott verbindet und sie dann in der Folge den anderen gegenüber
weder zu Tapferkeit und Strenge, noch zu Leutseligkeit und Milde,
sondern einzig und allein zur Nächstenliebe verpflichtet, in der das
Wertvollste und Wünschenswerteste im sozialen Verhalten zusam-
mengefaßt ist, die jedoch zugleich von jedem Menschen rein per-
Boston 1974) 325 ff; G. Alföldy, Noricum (London-Boston 1974) 208ff.; Η. V. Petri-
kovits, in: F. Petri - G. Droege (Hg.), Rheinische Geschichte 1,1 (Düsseldorf
1978) 252ff
154 Rom. 3,22ff.
155 Ebd. 12,3; siehe auch 1 Kor. 12,11; Eph. 4,7.
156 Rom. 12,4ff; siehe auch 1 Kor. 10,17 und 12,12; Eph. 4,25.
157 Rom. 12,6ff; siehe auch 1 Kor. 12,4ff; Eph. 4,11.
158 Rom. 13,9; Eph. 5,2.
 
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