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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0014
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Eike Wolgast

Als wesentliches Merkmal des ständischen Widerstandsrechts gilt,
daß es auf die Fälle beschränkt war, die im Vertrag mit dem Fürsten
festgelegt waren; außerdem dauerte - formuliert beispielhaft in der Joy-
euse Entree — der Entzug des Gehorsams im allgemeinen nur temporär
bis zur Reparatur des Schadens; das Widerstandsrecht erlosch daher,
wenn die Rechtsverletzung behoben war6.
Mit der causa religionis wurde in dieses ständische, an Rechtsfälle ge-
bundene Widerstandsrecht ein grundlegend neues Element eingeführt.
Für Auseinandersetzungen, die die causa religionis betrafen, reichte das
tradierte Recht nicht aus, da dieser Fall in ihm nicht geregelt war; zur
Legitimierung des Widerstands in der causa religionis wurde ein weiter-
gehendes Recht erforderlich, das das Recht zur prinzipiellen Absage,
zur Absetzung des Herrschers und notfalls zu seiner Beseitigung ein-
schloß. Um dieses Ziel auf der Basis des positiven Rechtes zu erreichen,
verbanden die Theoretiker des 16. Jahrhunderts das ständische Recht
auf Widerstand mit der Tyrannenlehre. Das Widerstandsrecht, wie es
im 16. Jahrhundert theoretisch ausgebildet und praktisch angewendet
wird, hat daher den Tyrannen als Herrscher zur Voraussetzung, dem ge-
genüber alle Einschränkungen des Gehorsamsentzugs entfallen.
Bei der Definition des Tyrannen konnte sich das 16. Jahrhundert auf
gesichertem Boden bewegen, da der Tyrannenbegriff durch die plato-
nisch-aristotelische Tradition und die Systematisierung des Mittelalters,
besonders bei Thomas von Aquino und Bartolus de Sassoferrato, fest-
gelegt war7. Es galt, zwischen zwei Arten des „tyrannus manifestus“ zu
unterscheiden8:
6 Vgl. die berühmte Formel der Joyeuse Entree von Brabant (1356): „Ende wäre dat
zake, dat wij, onse oir ocht onse nacomelinghe jeghen enighe van desen vors. pointen,
articlen ende vestecheden ghinghen, daden ocht daden doen in al ocht in deele, hoe
ende in wat manieren dat dat wäre, soe consenteren wij ende willecoren onse vors.
goeden lieden, dat si ons, noch onsen oire, noch onsen nacomelinghen nemmermeer
negheenen dienst daen en zelen, noch onderhoerech ziin tot dier tijt, dat wij hen dat
wederdaen hadden ende afghelaten volcomelec“; W. Näf (Hg.), Herrschaftsverträge
des Spätmittelalters (2. Aufl. Bern 1975), 54f. Vgl. auch schon die entsprechende Be-
stimmung der „Magna Carta Libertatum“ (Art. 61): „Illi XXV Barones cum commu-
na tocius terre distringent et gravabunt nos modis omnibus, quibus poterunt . . ., do-
nec fuerit emendatum secundum arbitrium eorum salva persona nostra. ... Et cum
fuerit emendatum, intendent nobis sicut prius fecerunt“; H. Wagner (Hg.), Magna
Carta Libertatum von 1215 (Bern 1951), 26.
7 Zur Tyrannislehre vgl. F. Schönstedt, Der Tyrannenmord im Spätmittelalter (Berlin
1938), 26ff. Zu Thomas von Aquino vgl. ebd., 36ff., zu Bartolus ebd., 46ff. Vgl. auch
die Studie von P. Kirn, Saul in der Staatslehre. In: Staat und Persönlichkeit. Fest-
schrift Erich Brandenburg (Leipzig 1928), 28ff., in der Saul als Prototyp des Tyrannen
 
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