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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0022
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Eike Wolgast

dem einfachen Unterordnungsverhältnis entsprach, wie es in der kirch-
lichen Hierarchie bestand. Das ihm vorgetragene „novum ius, ultra na-
turale, sed politicum et imperiale“21 führte Luther nun zu der Schlußfi-
gur: Das Gesetz des Kaisers verpflichtet zu Gehorsam (theologische
Aussage); dieses Gesetz schreibt für bestimmte Fälle Widerstand vor
(juristische Aussage); also gehört Widerstand zum Gehorsam gegen das
Gesetz. Für die zutreffende Exegese des „ius politicum et imperiale“
tragen nicht die Theologen, sondern die Juristen die Verantwortung.
Wenn das positive Recht den Widerstand gegen die übergeordnete Ob-
rigkeit begründet und fordert, wird die Frage zur res profana und schei-
det aus der Urteilskompetenz der Theologen aus. Mit diesem Kompe-
tenzverzicht verzichtete Luther 1530 aber zugleich darauf zu prüfen, ob
und wieweit das „ius politicum et imperiale“ mit dem göttlichen Wort
übereinstimmte. Diese Unterlassung ist ihm denn auch von den süd-
deutsch-reichsstädtischen Lutheranern um Nürnberg und Branden-
burg-Ansbach, die an der bisherigen Wittenberger Position festhielten,
zum Vorwurf gemacht worden22.
Für die Evangelischen, sofern sie der neuen politischen Theologie
Luthers folgten, blieb seit 1530 der Fürst auch im Konflikt mit dem Kai-
ser Amtsperson mit eigenem Recht. Damit war der Weg für das luthe-
risch geprägte Widerstandsrecht frei, das sich in der Folgezeit, vorwie-
gend von Melanchthon formuliert23, verfestigte und entgegen Luthers
Stellungnahmen bis 1530 zur Begründung auch auf das Naturrecht zu-
rückgriff. Anspruch der Schrift und Anspruch des Rechtes wurden da-
bei harmonisiert durch die Formel „Evangelium non tollit politica seu
leges politicas“24. Seit 1536 wurde dann das Widerstandsrecht in Wit-
tenberg mit der cura religionis des Fürsten begründet, indem es zur
Hauptaufgabe der landesfürstlichen Obrigkeit erklärt wurde, „die Chri-
sten und eusserlichen rechten gottesdienst zu schützen und zu handha-
ben“25. Auf landesterritorialer Ebene blieb es dagegen auch nach 1530
bei der Entscheidung gegen das Widerstandsrecht; der magistratus infe-
21 WAB 6, 37, 29f.
22 Zur sog. Torgauer Wende von Okt. 1530 und der Reaktion der süddeutschen Luthe-
raner vgl. Wolgast (s. Anm. 16), 173ff.
23 Luther hat das Problem des Widerstandsrechts nochmals 1539 im Rahmen einer aka-
demischen Disputation aufgegriffen; damals ist auch die Figur des tyrannus universa-
lis, des Werwolfs, als des Seelenmörders von Luther in die Diskussion eingeführt, aber
nur auf den Papst und seine Helfer bezogen worden; vgl. dazu ebd., 243ff.
24 Vgl. ebd., 224ff.
25 CR III, 128 (= Scheible, 89); vgl. auch Scheible, 93 (Gutachten von 1538).
 
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