92
Albrecht Dihle
IVe
Eduard Fraenkel vor allem hat in der Schlußpartie der ‘Phoinissen’
mit untrüglichem Sprach- und Stilgefühl eine große Anzahl von einzel-
nen Absonderlichkeiten beobachtet und beschrieben. Die von ihm vor-
gelegten Analysen einzelner Stellen des Stückes lassen kaum einen
Zweifel daran, daß jedenfalls in der überlieferten Form die Verse
1485-1765 schwerlich den von Euripides gedichteten Schluß dieser
Tragödie darstellen können.
Im folgenden sollen noch einige weitere auffällige Stellen aus diesem
Abschnitt des überlieferten Textes besprochen werden.
Zunächst 1532ff., juIteo, yeqcue, öei^ov, / OiötJiööa, oöv aicovcx
psksov, öq EJti / öcopaaiv dtEQiov okötov öppaoi / ootoi ßakdrv EÄ-KStg
UCXKOÖjTVOL’V ^of)V.
Antigone ruft den blinden Vater zur gemeinsamen Totenklage aus
dem Haus, das er seit seiner Blendung nicht verlassen hat.
Murray hat in der angegebenen Weise den dritten dieser Verse für
unverständlich erklärt und schlägt zu Heilung vor: ög ev / dcDpaoiv dts-
qlov okotov ejF öppaot / ooiot ßa/.cov ktX.. Das würde ein Rückverweis
auf die Selbstblendung des Oedipus sein, recht unnötig, denn die Blind-
heit ist schon zuvor (1531) apostrophiert worden: dkaöv öp|ia cpspcov.
Die inkriminierten Verse werden verständlich, wenn man sie mit ei-
ner in der Antike weit verbreiteten Sehtheorie zusammenhält. Der Seh-
vorgang besteht danach in der Aussendung von Sehstrahlen aus dem
Auge, welche die Objekte erfassen und so die Verbindung zwischen
Sinnesorgan und Außenwelt herstellen. Der Blinde sendet nicht mehr
Erkenntnis vermittelnde Sehstrahlen in die Außenwelt, sondern nur
noch dumpfes, nebelartiges, undurchdringliches Dunkel.
Merkwürdig ist auch der Ausdruck ejtl ötopaoiv. Man erwartet hier
eine Ortsangabe auf die Frage Wo, und die kann ejtl m. Dat. eigentlich
nur geben, wenn damit Umstände (etu öeljvvcü, etil voow), die dabei an-
wesenden Personen oder Dinge (etiI näoiv) oder die Konnotation „auf“
(eh’ (bpoig) gemeint sind. Man könnte sjil in evl ändern, denn die Mo-
nodie der Antigone ist vorwiegend in daktylischen und choriambischen
Versen gehalten und enthält darum viele Ausdrücke aus epischer Tradi-
tion.
Albrecht Dihle
IVe
Eduard Fraenkel vor allem hat in der Schlußpartie der ‘Phoinissen’
mit untrüglichem Sprach- und Stilgefühl eine große Anzahl von einzel-
nen Absonderlichkeiten beobachtet und beschrieben. Die von ihm vor-
gelegten Analysen einzelner Stellen des Stückes lassen kaum einen
Zweifel daran, daß jedenfalls in der überlieferten Form die Verse
1485-1765 schwerlich den von Euripides gedichteten Schluß dieser
Tragödie darstellen können.
Im folgenden sollen noch einige weitere auffällige Stellen aus diesem
Abschnitt des überlieferten Textes besprochen werden.
Zunächst 1532ff., juIteo, yeqcue, öei^ov, / OiötJiööa, oöv aicovcx
psksov, öq EJti / öcopaaiv dtEQiov okötov öppaoi / ootoi ßakdrv EÄ-KStg
UCXKOÖjTVOL’V ^of)V.
Antigone ruft den blinden Vater zur gemeinsamen Totenklage aus
dem Haus, das er seit seiner Blendung nicht verlassen hat.
Murray hat in der angegebenen Weise den dritten dieser Verse für
unverständlich erklärt und schlägt zu Heilung vor: ög ev / dcDpaoiv dts-
qlov okotov ejF öppaot / ooiot ßa/.cov ktX.. Das würde ein Rückverweis
auf die Selbstblendung des Oedipus sein, recht unnötig, denn die Blind-
heit ist schon zuvor (1531) apostrophiert worden: dkaöv öp|ia cpspcov.
Die inkriminierten Verse werden verständlich, wenn man sie mit ei-
ner in der Antike weit verbreiteten Sehtheorie zusammenhält. Der Seh-
vorgang besteht danach in der Aussendung von Sehstrahlen aus dem
Auge, welche die Objekte erfassen und so die Verbindung zwischen
Sinnesorgan und Außenwelt herstellen. Der Blinde sendet nicht mehr
Erkenntnis vermittelnde Sehstrahlen in die Außenwelt, sondern nur
noch dumpfes, nebelartiges, undurchdringliches Dunkel.
Merkwürdig ist auch der Ausdruck ejtl ötopaoiv. Man erwartet hier
eine Ortsangabe auf die Frage Wo, und die kann ejtl m. Dat. eigentlich
nur geben, wenn damit Umstände (etu öeljvvcü, etil voow), die dabei an-
wesenden Personen oder Dinge (etiI näoiv) oder die Konnotation „auf“
(eh’ (bpoig) gemeint sind. Man könnte sjil in evl ändern, denn die Mo-
nodie der Antigone ist vorwiegend in daktylischen und choriambischen
Versen gehalten und enthält darum viele Ausdrücke aus epischer Tradi-
tion.