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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0008
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Werner Beierwaltes

wußtsein zu rücken2. Dies hängt mit der weitreichenden Rehabilitie-
rung der praktischen Philosophie zusammen, die ihrerseits im Kontext
der Überzeugung steht, Philosophie müsse auch Konzepte für vernünf-
tiges Handeln entwerfen oder aber es sei ihr in ihrer gegenwärtigen Si-
tuation eigentlich nur dies möglich: Ethik zu sein. Paradigmatisch für
diese Einstellung ist - zumindest im deutschen Sprachraum - der Ver-
such von Walter Schulz, eine „zeitgemäße Ethik“ zu entwerfen, die von
der Grundkategorie ‘Verantwortung’ her „das größte Glück der größ-
ten Zahl“ postuliert. In einer Abgrenzung zum utilitaristischen Eudä-
monismus hin versteht Schulz die ethische Betätigung selbst als eine we-
sentliche Glücksquelle. „Die ‘Befriedigung’, die das Gefühl, verant-
wortlich zu handeln - ob mit oder ohne Erfolg - ergibt, ist das eigentlich
menschenwürdige Glück, weil es zur Natur des Menschseins gehört, daß
der Mensch selbst die Aufgabe übernimmt, das Gute als die Ordnung
herzustellen, unter der er zu leben vermag“3. Glück wird so in die Auto-
nomie oder Autarkie der menschlichen Subjektivität gesetzt, die sich im
verantwortungsvollen Zusammenleben Normen setzend realisiert und
bewährt. - Nicht immer freilich tritt in zeitgenössischen Überlegungen
die Frage nach dem Glück auch expressis verbis als solche auf, sie liegt
vielmehr - psychologisch oder soziologisch und politisch orientiert - an-
deren Fragestellungen zugrunde oder in deren Ziel. Zu umschreiben
sind diese etwa mit den Formeln: Suche des Menschen nach seiner
Identität4; Emanzipation aus den Zwängen einer technisierten, büro-
kratisierten, durch und durch zweckorientierten und deshalb auf das In-
dividuum repressiv wirkenden Gesellschaft; Aufhebung der vielfältigen
Entfremdung des Menschen, der er in seiner Arbeitswelt ausgesetzt ist;
Lustmaximierung gegen Unterdrückung der Triebe5; Befreiung von po-
litischer Unterdrückung und ideologischer Indoktrination; Wiederge-
winnung bestimmter ästhetischer Qualitäten unseres Daseins, die es

2 Hier soll nur auf Weniges (verschiedener Provenienz, auch im Kontext zu psychologi-
schen und soziologischen Konzepten) verwiesen werden: J. Pieper, Glück und Kon-
templation, München 1957. W. Tatarkiewicz, Analysis of happiness, Den Haag 1976
(polnisch 1962). H. Kundler (Hg.), Anatomie des Glücks, Köln 1971. U. Hommes
(Hg.), Was ist Glück? Ein Symposion, München 1976. H. Krämer, Prolegomena zu
einer Kategorienlehre des richtigen Lebens, Phil. Jahrbuch 83, 1976, 71-97. G. Bien
(Hg.), Die Frage nach dem Glück, Stuttgart 1978.
3 W. Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, Pfullingen 1972, 746.
4 Vgl. z. B. E. H. Erikson, The problem of Ego Identity, in: Journ. Amer. Psych. Assoc.
4, 1956, 56-121 (deutsch in: Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1973, 123ff).
5 Diese Fragen thematisiert u. a. H. Marcuse in: Der eindimensionale Mensch, Neu-
wied 19672; Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt 1967.
 
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