Regio Beatitudinis
13
‘theoria’, daß sie jene Einsicht sei, „die als Einsicht um der Einsicht wil-
len selbst die höchste Möglichkeit der Praxis ist“22.
‘Theoria’ als höchste Verwirklichung menschlichen Seins — gemäß
dem Vermögen im Menschen, das auf Grund seiner Natur „herrscht
und führt und sein Sinnen auf das Schöne und Göttliche richtet“, „das
selbst göttlich oder das Göttlichste in uns ist“23, das Leben also gemäß
dem betrachtenden Denken des Geistes ist „vollendetes Glück“, ‘teleia
eudaimonia’24. Folglich kommt auch ihm wie der Muße und der ‘theo-
ria’ zu, um ihrer selbst willen zu sein. Über es hinaus erstrebt der
Mensch nichts, da es Verwirklichung und Erfüllung seines Seins
schlechthin ist. „Es ist nämlich das Ziel“25. „Wir glauben aber“, heißt es
in der Nikomachischen Ethik26, „daß dem Glück Freude beigemischt
sein muß, die freudvollste unter den Tätigkeiten gemäß der ‘arete’ ist
zugestandenermaßen die Tätigkeit der Weisheit.“ Glück, Freude und
Weisheit sind also eine zwar in sich unterschiedene, jedoch nicht zu
scheidende Einheit, deren Momente sich gegenseitig bedingen. Freude
freut sich über das, was einer liebt. Wenn der Mensch nun die Vollen-
dung seiner Existenz, das Ziel der Entfaltung des ihm Möglichen liebt
und wenn diese Liebe zugleich seine höchste Tätigkeit ist, d. h. wenn
seine Liebe zur Weisheit (φιλοσοφία) zur Weisheit des Wissens gewor-
den ist, so kommt ihm aus ihr auch die höchste Freude. Aristoteles sagt
daher zurecht: ή θεωρία το ήδιστον και άριστον, „das betrachtende
Denken ist das Freudvollste und Beste“27. Die eigentliche Freude grün-
det daher auch nicht im ständigen Suchen und Fragen, dem vielleicht
nie Finden und Antwort beschieden ist, sondern im ständigen und rei-
nen Sehen der Wahrheit. „Die Philosophie birgt wunderbare Freuden
in sich durch ihre Reinheit und Beständigkeit. Es ist wohlbegründet,
daß den Wissenden ein freudvolleres Leben zuteil ist als den Suchen-
den“28.
22 W. Brocker, Aristoteles, Frankfurt 19572, 17.
23 Eth. Nie. 1177 a 13ff.
24 1177 a 17: Der aristotelische Begriff von ευδαιμονία, wie er in diesem Zusammen-
hang betrachtet wird, wäre zu differenzieren durch die Überlegungen der Eth. Nie. I
7ff., 1097 a 25ff. VgL hierzu K. Jacobi, Aristoteles’ Einführung des Begriffs ‘eudai-
monia’ im I. Buch der „Nikomachischen Ethik“, in: Philos. Jahrbuch 86, 1979, 300-
325.
25 1176 b 31. 1177 a 27.
26 1177 a 22-25.
27 Met. 1072 b 24. Vgl. auch Protreptikos B 87. 94. Eth. Nie. 1099 a 15. Eth. Eud. 1214
a 30-33. 1214 b 4.
28 Eth. Nie. 1177 a 25-27.
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‘theoria’, daß sie jene Einsicht sei, „die als Einsicht um der Einsicht wil-
len selbst die höchste Möglichkeit der Praxis ist“22.
‘Theoria’ als höchste Verwirklichung menschlichen Seins — gemäß
dem Vermögen im Menschen, das auf Grund seiner Natur „herrscht
und führt und sein Sinnen auf das Schöne und Göttliche richtet“, „das
selbst göttlich oder das Göttlichste in uns ist“23, das Leben also gemäß
dem betrachtenden Denken des Geistes ist „vollendetes Glück“, ‘teleia
eudaimonia’24. Folglich kommt auch ihm wie der Muße und der ‘theo-
ria’ zu, um ihrer selbst willen zu sein. Über es hinaus erstrebt der
Mensch nichts, da es Verwirklichung und Erfüllung seines Seins
schlechthin ist. „Es ist nämlich das Ziel“25. „Wir glauben aber“, heißt es
in der Nikomachischen Ethik26, „daß dem Glück Freude beigemischt
sein muß, die freudvollste unter den Tätigkeiten gemäß der ‘arete’ ist
zugestandenermaßen die Tätigkeit der Weisheit.“ Glück, Freude und
Weisheit sind also eine zwar in sich unterschiedene, jedoch nicht zu
scheidende Einheit, deren Momente sich gegenseitig bedingen. Freude
freut sich über das, was einer liebt. Wenn der Mensch nun die Vollen-
dung seiner Existenz, das Ziel der Entfaltung des ihm Möglichen liebt
und wenn diese Liebe zugleich seine höchste Tätigkeit ist, d. h. wenn
seine Liebe zur Weisheit (φιλοσοφία) zur Weisheit des Wissens gewor-
den ist, so kommt ihm aus ihr auch die höchste Freude. Aristoteles sagt
daher zurecht: ή θεωρία το ήδιστον και άριστον, „das betrachtende
Denken ist das Freudvollste und Beste“27. Die eigentliche Freude grün-
det daher auch nicht im ständigen Suchen und Fragen, dem vielleicht
nie Finden und Antwort beschieden ist, sondern im ständigen und rei-
nen Sehen der Wahrheit. „Die Philosophie birgt wunderbare Freuden
in sich durch ihre Reinheit und Beständigkeit. Es ist wohlbegründet,
daß den Wissenden ein freudvolleres Leben zuteil ist als den Suchen-
den“28.
22 W. Brocker, Aristoteles, Frankfurt 19572, 17.
23 Eth. Nie. 1177 a 13ff.
24 1177 a 17: Der aristotelische Begriff von ευδαιμονία, wie er in diesem Zusammen-
hang betrachtet wird, wäre zu differenzieren durch die Überlegungen der Eth. Nie. I
7ff., 1097 a 25ff. VgL hierzu K. Jacobi, Aristoteles’ Einführung des Begriffs ‘eudai-
monia’ im I. Buch der „Nikomachischen Ethik“, in: Philos. Jahrbuch 86, 1979, 300-
325.
25 1176 b 31. 1177 a 27.
26 1177 a 22-25.
27 Met. 1072 b 24. Vgl. auch Protreptikos B 87. 94. Eth. Nie. 1099 a 15. Eth. Eud. 1214
a 30-33. 1214 b 4.
28 Eth. Nie. 1177 a 25-27.