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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0016
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Werner Beierwaltes

Ursache der Freude ist also der Besitz des ontologischen Grundes der
Freude. Der Begriff des Glücks impliziert von sich her die Intention,
das Erstrebte und Erreichte möge immerwährend und stetig bleiben.
Diese Intention kann jedoch, wenn sie nicht reine Fiktion sein soll, nur
aus dem Immerwähren und der Stetigkeit ihres Grundes entspringen.
Die für den Menschen analoge Weise aber, die zeit-freie Stetigkeit und
Tätigkeit des Grundes oder Prinzips schlechthin (‘arche’) nachzuvoll-
ziehen, ist das betrachtende Denken. Dies ist auch „die am meisten ste-
tige (συνεχέστατη) Tätigkeit; betrachtend zu denken vermögen wir
nämlich stetiger als etwas (nach außen hin) zu tun“29. Folglich kann nur
diese höchste Tätigkeit des betrachtenden Denkens „vollkommene
Glückseligkeit des Menschen sein“, wenn sie das vollendete (= zeitlich
ganze) Leben des Menschen ganz umfaßte30. „Ein derartiges Leben
aber wäre übermenschlich (κρείττων ή κατ’ άνθρωπον); denn der
Mensch kann es in dieser Weise nicht leben, sofern er Mensch ist, son-
dern sofern etwas Göttliches in ihm herrscht“31.
Als das „ewige, beste Lebewesen“32, dem stetiges und ewiges Leben
zukommt, ist der Gott reine Tätigkeit des Denkens. Gerade die Stetig-
keit seines Denkens (τό συνεχές τής νοήσεως 33) ist das, was ihn aus al-
lem anderen Seienden herausnimmt. Der mythologische Gedanke, daß
der Gott nie schlafe, wird hier in den philosophischen Gedanken des
immer wachen, weil stetig denkenden Gottes verwandelt. Was aber
denkt der Gott? Aristoteles argumentiert folgendermaßen: Wenn der
Gott in sich selbst das Beste und Werthafteste ist, dann kann er nur das
Beste oder Werthafteste denken. Also denkt er sich selbst. Dächte er et-
was anderes als sich selbst, so würde die ursprunghafte Einheit von
Denken und Gedachtem in ihm geschieden, ein Zuvor und Danach ver-
zeitlichte seine Ewigkeit, ein Besser und Weniger-Gut minderte seine
eine Gutheit, ein Mögliches d. h. noch nicht Gedachtes, das zum wirk-
lich Gedachten würde, höbe die reine Wirklichkeit des Denkens in ihm
auf34. Was also denkt der Gott, wenn er sich selbst denkt? Er denkt sein
Denken. „Sich selbst denkt er, da er das Beste ist, und das Denken ist
Denken des Denkens“: αύτόν άρα νοεί, εϊπερ έστί το κράτιστον, καί έ-
29 Ebd. 1177 a 21f.
30 1177 b 24ff. Vorblick auf das Problem der Unsterblichkeit (vgl. unten S. 28ff).
31 Eth. Nie. 1177 b 26-28.
32 Met. 1072 b 29f.
33 Ebd. 1074 b 29.
34 1074 b 15ff.
 
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