16
Werner Beierwaltes
Weisung zum Philosophieren und damit zum eigentlichen Glück ihr In-
nerstes und Höchstes: „Wir dürfen aber nicht im Gefolge der uns mah-
nenden Dichter Menschliches denken, da wir Mensch sind, und nicht
Sterbliches, da wir sterblich sind, sondern wir müssen, soweit dies mög-
lich ist, Unsterbliches denken und alles tun, um nach dem zu leben, was
in uns das Höchste (Beste) ist“; έφ’ öoov ενδέχεται άθανατίζειν και
πάντα ποιεϊν προς το ζην κατά τό κράτιστον τών έν αύτφ39. So erweist
sich gerade das Übermenschlich-Göttliche als das im eigentlichen Sinne
Menschliche: Der Mensch ist nur dann Mensch, wenn er die göttliche
Möglichkeit seines Wesens ergreift, um durch das Göttliche in ihm ganz
er selbst zu werden. Der Imperativ zum άθανατίζειν verweist das in
Zeit verflochtene Denken darauf, gerade die zeit-freie Struktur des Sei-
enden in aller Veränderlichkeit zu sehen und durch diese hindurch de-
ren Grund denkend zu berühren. Diesem Imperativ also zu folgen und
dadurch den ‘theos’ als das reine, vollendet wirkliche Denken in der
‘theoria’ zu erkennen, daran hängt das Glück.
b) Wenn auch Aristoteles, sofern man sein Denken als ganzes im Blick
hat, nicht einen unbedingten Vorrang des theoretischen Lebens (wie es
scheinen könnte) vor dem praktischen intendiert, sondern eher dessen
Vermittlung, so entspricht doch das Insistieren auf der Verbindung von
‘theoria’ und Glück einem platonischen Grundgedanken. Daß Glück
aus dem Sehen oder Erkennen der Idee entspringt, die selbst unverän-
derliches Sein und zugleich Grund jeder Gestalt im Bereich der sich
permanent verändernden ‘genesis’ ist, wird durch Platon von vielfälti-
gen Aspekten her deutlich gemacht. Im Seelen-Mythos des ‘Phaidros’
zum Beispiel heißt es, daß die Seele auf der „Ebene der Wahrheit“40,
d. h. im Bereich des Intelligiblen, des eigentlichen, vom Werden freien
und deshalb seienden Seins (τό öv όντως) und Göttlichen41 eine „leuch-
tende Schönheit“ sieht, „als wir, Zeus folgend ... in glücklichem Rei-
gen ein beseligendes Gesicht und eine beseligende Schau sahen und ein-
geweiht wurden in die Weihe, die man die beglückendste nennen darf,
die wir feierten rein und unbetroffen von dem Übel, das in späterer Zeit
uns erwartete, reine und unverfälschte und unerschütterliche (unwan-
delbare) und glückliche Erscheinungen sahen wir bei der Weihe in rei-
nem Glanz“42. Analoges sagt die Diotima-Rede des ‘Symposion’: das
39 Ebd. b 31-34. VgL Platon, Tim. 90 c 1: φρονείν αθάνατα καί θεία.
40 248 b 6.
41 249 c 4; d 1.
42 250 b 5ff. Phaed. 111 a 3: θέαμα εύδαιμόνων θεατών. Mysterien-Terminologie auch
249 c 7. Symp. 210 a 1.
Werner Beierwaltes
Weisung zum Philosophieren und damit zum eigentlichen Glück ihr In-
nerstes und Höchstes: „Wir dürfen aber nicht im Gefolge der uns mah-
nenden Dichter Menschliches denken, da wir Mensch sind, und nicht
Sterbliches, da wir sterblich sind, sondern wir müssen, soweit dies mög-
lich ist, Unsterbliches denken und alles tun, um nach dem zu leben, was
in uns das Höchste (Beste) ist“; έφ’ öoov ενδέχεται άθανατίζειν και
πάντα ποιεϊν προς το ζην κατά τό κράτιστον τών έν αύτφ39. So erweist
sich gerade das Übermenschlich-Göttliche als das im eigentlichen Sinne
Menschliche: Der Mensch ist nur dann Mensch, wenn er die göttliche
Möglichkeit seines Wesens ergreift, um durch das Göttliche in ihm ganz
er selbst zu werden. Der Imperativ zum άθανατίζειν verweist das in
Zeit verflochtene Denken darauf, gerade die zeit-freie Struktur des Sei-
enden in aller Veränderlichkeit zu sehen und durch diese hindurch de-
ren Grund denkend zu berühren. Diesem Imperativ also zu folgen und
dadurch den ‘theos’ als das reine, vollendet wirkliche Denken in der
‘theoria’ zu erkennen, daran hängt das Glück.
b) Wenn auch Aristoteles, sofern man sein Denken als ganzes im Blick
hat, nicht einen unbedingten Vorrang des theoretischen Lebens (wie es
scheinen könnte) vor dem praktischen intendiert, sondern eher dessen
Vermittlung, so entspricht doch das Insistieren auf der Verbindung von
‘theoria’ und Glück einem platonischen Grundgedanken. Daß Glück
aus dem Sehen oder Erkennen der Idee entspringt, die selbst unverän-
derliches Sein und zugleich Grund jeder Gestalt im Bereich der sich
permanent verändernden ‘genesis’ ist, wird durch Platon von vielfälti-
gen Aspekten her deutlich gemacht. Im Seelen-Mythos des ‘Phaidros’
zum Beispiel heißt es, daß die Seele auf der „Ebene der Wahrheit“40,
d. h. im Bereich des Intelligiblen, des eigentlichen, vom Werden freien
und deshalb seienden Seins (τό öv όντως) und Göttlichen41 eine „leuch-
tende Schönheit“ sieht, „als wir, Zeus folgend ... in glücklichem Rei-
gen ein beseligendes Gesicht und eine beseligende Schau sahen und ein-
geweiht wurden in die Weihe, die man die beglückendste nennen darf,
die wir feierten rein und unbetroffen von dem Übel, das in späterer Zeit
uns erwartete, reine und unverfälschte und unerschütterliche (unwan-
delbare) und glückliche Erscheinungen sahen wir bei der Weihe in rei-
nem Glanz“42. Analoges sagt die Diotima-Rede des ‘Symposion’: das
39 Ebd. b 31-34. VgL Platon, Tim. 90 c 1: φρονείν αθάνατα καί θεία.
40 248 b 6.
41 249 c 4; d 1.
42 250 b 5ff. Phaed. 111 a 3: θέαμα εύδαιμόνων θεατών. Mysterien-Terminologie auch
249 c 7. Symp. 210 a 1.