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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0020
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Werner Beierwaltes

Aussagen zu dieser Thematik in den ihr eigens gewidmeten Schriften (I
4 und 5) sind nicht als Schulroutine abzutun, vielmehr machen sie mit
anderen Aspekten seines Denkens zusammen evident, daß das reflek-
tierende Sehen des Geistes oder der zeitfreien Dimension des Intelligi-
blen und das von Differenz frei werdende Sehen des Grundes oder Ur-
sprungs, des Einen selbst, in die Transformation oder Einung mit bei-
den führend, als die Erfüllung des menschlichen Seins schlechthin und
damit auch, wenn überhaupt, als das glückliche Leben zu denken ist52.
Eindeutig und mit einer an die stoische ‘Ataraxia’ gemahnenden Rigo-
rosität sieht Plotin das Glück nicht bestritten durch Unglück, das die
leiblichen oder zeitlich-geschichtlichen Elemente unseres Seins trifft:
durch Schmerz, Krankheit, Armut, Schande und Tod von Verwandten
und Freunden. Für Plotin kann dies allerdings nicht als eine zum Trost
intendierte, aber realitätsferne und daher nutzlose Umbenennung land-
läufiger Meinungen fungieren. Seine Konzeption entspringt vielmehr
der von ihm immer wieder begründeten Überzeugung, daß es Ziel des
Menschen sein müsse, das Eine als das Prinzip von Sein insgesamt und
den Geist als die höchste Form von Einheit in der Vielheit oder Diffe-
renz zu denken, zu „sehen“ (άρχήν όράν53), sich mit ihm nicht-denkend
zu einen, weil dieses Eine in sich das „Beste“ (das Gute schlechthin),
oder als „Über-Sein“ die höchste Wirklichkeit ist. Nur von ihm her ist
eine analoge Wirklichkeit des Mensch-Seins möglich und denkbar. Man
könnte den Sachverhalt von Plotin her geradezu syllogistisch formulie-
ren: Glücklich-Sein beruht im Besitz des wahren Gutes54; das Eine
selbst ist das wahre Gut oder das Gute schlechthin; wer also das Eine
hat, ist glücklich. Der Modus des Habens aber ist: ungegenständliches,
nicht-objektivierendes Sehen oder ein Übergehen des Sehens in dessen
Gegenstand55. (Die Voraussetzungen dieses Zustandes oder der dialek-
tische Weg zu ihm sind später in Analogie zur augustinischen ‘reditio in
se ipsum’ zu erörtern.) Ein Grundgedanke der Enneade I 4 „Über
Glückseligkeit“ ergänzt den genannten Syllogismus in der Dimension
des Geistes: Glücklich-Sein kommt allein der höchsten Intensität von
Leben, dem „vollkommenen Leben“ zu, welches das „Beste“ im Seien-
52 Zum Problemkreis im Ganzen vgl. W. Himmerich, Eudaimonia, Würzburg 1959. J.
Μ. Rist, Plotinus: The road to reality, Cambridge 1967, 139ff.
53 VI 9, 11, 32.
54 I 4, 6, 4f: έν τή τού αληθινού αγαθού κτήσει τούτο έστι κείμενον (τό εύδαιμονεϊν).
Vgl. hierzu die S. 25ff diskutierte Formel Augustins: Deum qui habet, beatus est.
55 VI 9, 3, 23ff. U,22f.
 
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