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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0026
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Werner Beierwaltes

Unähnlichkeit mitgesetzt, die gerade im menschlichen Bewußtsein der
Endlichkeit und Begrenztheit durchschlagen kann, freilich um erkannt
und soweit als möglich in der Bewegung des Sich-mit-Gott-Verähnli-
chens aufgehoben zu werden.
Nicht in selbstgefälliger oder in Schwermut verliebter Larmoyanz be-
schreibt Augustinus die Situation des Menschen als 'vanitas': als leeren,
vergänglichen, von Täuschung und Angst bestimmten Schein. Für diese
Situation — den „Tag der Bedrängnis“, 'dies tribulationis' - treffen im
Sinne Augustins die Metaphern „Schatten“, „Nacht“, „Tal der Tränen“
oder „Schmerz des Wandernden in der Fremde“ (dolor peregrinationis)
genau, freilich nicht, um einen unüberbrückbaren Gegensatz zu dem an-
zuzeigen, was ihr eigenes positives Korrelat meint: „nie schwindende,
unwandelbare Wahrheit“ Gottes, deren Selbstaussage im „Ich bin der
Ich bin“ sich selbst als zeitfreies, reines und wahres „Sein“ evident
macht79, „Licht“, „Freude“, „Ruhe“ oder „Heimat“. Die regio dissimi-
litudinis80 nämlich, sofern und sobald sie als solche erkannt ist, provo-
ziert durchaus ihre eigene Überwindung zur similitudo oder Einheit hin,
die zugleich regio beatitudinis ist.
Analog dem Gedanken Plotins, daß der Mensch auch im Bereich der
Andersheit nicht von seinem Ursprung „abgeschnitten“ ist (ουδέ νΰν
άποτετμήμεθα81) und daß er wie ein vom Vater getrenntes Kind diesen
aufgrund seiner συγγένεια nicht gänzlich vergessen hat oder daß er als
metaphorischer Odysseus zur intelligiblen Heimat, zum Einen hin
strebt82, sagt Augustinus, daß wir auch im Abirren von der „unwandel-
baren Freude“ nicht von ihr „abgeschnitten und abgerissen“ (praecisi
atque abrupti) sind; damit wir aber in der Zeitlichkeit und Veränder-
lichkeit das Ewige, die Wahrheit und das Glück suchen, sind uns Zei-
chen gesetzt, die unserer peregrinatio angemessen sind. Deren klarstes
und wirksamstes ist die Inkarnation Christi. Sie allein ist der Grund und
die Ermöglichung, nach dem wahren glücklichen Leben überhaupt zu
suchen — Deus egit nobiscum83. Zugleich bürgt sie für die Hoffnung, daß
das Glück sich auch realisiere (nunc in spe-tunc in re). Der grundsätzli-
chen Armut (egestas) des Menschen steht die Fülle (plenitudo) des Seins
79 En. in Psalm. 143, 11. Zur Interpretation von Exodus 3, 14 (Ego sum qui sum) durch
Augustinus vgl. W. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, Frankfurt 1972, 26ff.
80 Conf. VII 10, 16.
81 Plot. VI 4, 14, 16ff. Vgl. auch I 7, 1, 25-28.
82 V 1, 1, 9f. 30ff. I 6, 8, 16ff.
83 Trin. IV 1, 2.
 
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