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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0032
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Werner Beierwaltes

oder der Idee ist auch ein anderes Argument Augustins für die Unsterb-
lichkeit der Seele zu verstehen: Keine Seele entbehrt oder verläßt sich
selbst; die Seele aber ist Leben; Leben lebt per definitionem. „Das Le-
ben, welches das Sterbende (das, was stirbt) verläßt, verläßt sich selbst
nicht, weil es selbst Seele ist [Seele als Beseelendes oder Belebendes ist
vom Beseelten zu unterscheiden]; (also) stirbt die Seele nicht“103. Die-
ses Argumentationsmodell ist platonisch. Platon entwickelt im Thai-
den’ den dritten Unsterblichkeitsbeweis in unmittelbarem Kontext sei-
ner Ideenlehre aus dem Begriff des Lebens. Der Wesenszug der Idee
gilt auch für das Leben: mit sich selbst identisch kann sie ihren eigenen
Gegensatz nicht in sich haben. Eine Grundbestimmung der Seele ist
auch im Sinne Platons, daß sie dem, von dem sie Besitz ergreift, Leben
bringt. Seele ist also Grund der Selbstbewegtheit eines Seienden. Ge-
gensatz zu Leben aber ist der Tod. Ist die Seele wesentlich Leben, dann
kann sie ihren Gegensatz, den Tod, nicht in sich aufnehmen. Das aber,
was den Tod wesenhaft nicht in sich aufnimmt, ist das Nicht-Tote oder
das Nicht-Tötbare: ά-θάνατος und άνώλεθρος. Wenn die Seele im Tod
sich vom Körper löst, so ver-geht sie nicht, sondern e/it-geht dem Tod.
Ihr Leben aber ist ganz aus der denkenden Teilhabe an der Idee zu be-
greifen104.
Die Unsterblichkeits-These ist deshalb für Augustinus von so ent-
scheidender Bedeutung, weil an ihr der eschatologische Aspekt seines
Begriffs von beatitudo hängt. Von dem philosophischen Konzept eines
glücklichen Lebens unterscheidet sich Augustinus allerdings nicht so
sehr durch die gemachte Voraussetzung (immortalitas animae), als viel-
mehr durch die Intensität des Gedankens, das wahre oder eigentliche
glückliche Leben, seine endgültige Erfüllung liege in der Zukunft, die
freilich zur zeit-losen Gegenwart wird: Eschatologie des Glücks, beatitu-
do finalis105.
Ex qua si habet animus idipsum quod est (non enim aliunde hoc habere potest, qui
ex se non habet, nisi ab illa re quae illo ipso est animo praestantior), nulla res est qua
id amittat, quia nulla res ei rei est contraria qua id habet; et propterea esse non desinit
. . . Non igitur potest interire. X 17: Haec autem quae intelliguntur eodem modo sese
habentia, cum ea intuetur animus, satis ostendit se illis esse coniunctum, miro quodam
eodemque incorporali modo, scilicet non localiter. Lib. arb. III 5, 13: humana quippe
anima naturaliter divinis ex quibus pendet connexa rationibus.
103 Immort. an. IX 16.
104 Phaedo 105 d ff. Zum Problem der Gegensätze: 103 a ff. Differenz von ύπεκχωρεϊν
(entgehen) und άπόλλυσθαι (vergehen): 103 d; auf die Seele angewandt: 106 e 5-7.
105 Civ. Dei XIX 10.
 
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