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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0041
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Regio Beatitudinis

39

Das philosophische Modell dieses Gedankens, das in analoger Weise
das Sehen des Ursprungs mit der höchsten Form des Glücks verbindet,
ist, wie ich anfangs angedeutet habe, von Plotin und der ihm folgenden
neuplatonischen Philosophie entwickelt worden. Es ist zur weiteren
Klärung der Frage nach den philosophischen Implikationen des augusti-
nischen Denkens wenigstens kurz zu skizzieren.
Das Denken gelangt im Rückgang in sich selbst (έπιστροφή), im Akt
der Selbstvergewisserung also, in seinen eigenen Ursprung. Dieser ist,
wie in Augustins Konzeption, zugleich in und über dem Denken ge-
dacht. Er ist das absolute, in sich relationslose Eine selbst, welches Ur-
sprung jeglicher Form von Einheit und Denken zugleich ist. Obgleich es
mit dem ‘theos’ zu identifizieren ist, besteht gerade in der Relations-
und damit Reflexionslosigkeit des Einen eine wesentliche Differenz zu
dem in sich reflexiven Gott Augustins. Der Prozeß der Selbstvergewis-
serung setzt bei Plotin mit einem dem augustinischen ähnlichen ethi-
schen Imperativ ein: daß der Mensch sich befreien solle aus dem Ver-
stricktsein in Sinnlichkeit und Vielheit (άφελε πάντα146). Dieser Rück-
gang ist zugleich Aufstieg durch die verschiedenen Intensitätsgrade des
‘nus’ und der ‘psyche’, also des Denkens insgesamt. Im Rückgang des
Denkens in sich selbst gelangt dieses allererst in das wahre Selbst des
Menschen, den „inneren Menschen“ (ό εϊσω άνθρωπος), das eigentli-
che Wir147. Dieses gründet im Bereich des intelligiblen, reinen Seins,
wirkt aber zugleich in die zeithafte Existenz des Menschen hinein148.
Der Ursprung des Denkens wird dem Denken in der Rückwendung auf
sich selbst nicht nur bewußt, vielmehr wird es diesen Ursprung selbst, es
verwandelt sich in ‘nus’149. Gemäß dem Ansatzpunkt ist der Rückgang
des Denkens auch eine immer größere Vereinfachung, ein intensiveres
Eins-Werden, insofern es sich von seinem eigenen Grunde immer in-
tensiver bestimmen läßt. Das Ziel dieses Prozesses ist das Eins-Werden
mit dem Einen selbst. Dieses kann freilich nicht als solches gedacht und
gewußt werden, weil es über oder vor dem Etwas oder der Form ist, die
einzig dianoetischem Denken zugänglich ist. Gewußt und gedacht wer-
den kann es vielmehr nur als „das Eine in uns“, als der Einheitsgrund
unseres Denkens, der durch sich selbst über sich selbst hinausweist auf
146 V 3, 17, 38.
147 vi 4, 14, 16ff. V 1, 10, 10.1 1, 7, 20. VgL auch VI 7,4. G. J. P. O’Daly, Plotinus’ Phi-
losophy of the Self, Shannon 1973.
148 I 1,7.
149 VI 7, 35, 4f.
 
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