Antike Spuren im Tübinger Wappen
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den Kopf stellt und es mit dem Tübinger Wappen vergleicht (Abb. 23).
Eine vermittelnde Ansicht geht dahin, daß „etwa dieses Schloß [!]
nachher in die Kirchenfahne 'umheraldisiert’ worden sein möchte,
indem man das Bild stürzte .. .“61. P. Scheven, von dem dieser Vor-
schlag aus dem Anfang dieses Jahrhunderts stammt, war damit zweifel-
los auf der richtigen Spur. Nur sehe ich es doch etwas anders: Der
unbeholfene Stempelschneider der Münze, der gewiß den Basler
Denar oder ein ähnliches Stück mit dem damals so beliebten Münzbild
der Stadtummauerung zum Vorbild nahm, hatte wohl gleichzeitig das
neue Pfalzgrafenwappen im Auge und sah in ihm ungekehrt eine als
Fahne mißverstandene Darstellung der drei Türme (vermutlich ihr zu-
liebe hat er dann den vorderen der ursprünglich vier Türme fortgelas-
sen, wodurch dann der Innenhof sozusagen in der Luft hing und somit
fälschlich als Raute bezeichnet wurde). Um sich dies klarzumachen,
braucht man nur eine verselbständigte Rohzeichnung des Pfalzgrafen-
wappens, wie sie etwa auf dem Siegel in unserer Abb. 12 rechts oben
gleich viermal erscheint, im gleichen Maßstab, aber umgekehrt, neben
das Münzbild des Tübinger Pfennigs zu setzen (Abb. 24). Dann wird
auch klar, daß der Stempelschneider, um beiden Fassungen gerecht zu
werden, die drei Ringe des Wappens unverstanden in sein Turmbild
mit hinüber nahm - eine höchst kuriose Kontamination, die diesen
ihren Charakter gerade dadurch deutlich verrät. Die drei Ringe wären
also dann auf dem Weg von Kroton nach Tübingen noch ein weiteres
Mal umfunktioniert worden, zuletzt freilich mit dem Ergebnis absolu-
ter Sinnlosigkeit. Der am Anfang dieser Arbeit zitierte Aby Warburg
hätte hier wohl von 'Verpuppung’ gesprochen, vielleicht auch von
einem 'Bedeutungspalimpsest’.
Das folgende Schema soll die einzelnen Etappen der Übernahme
und Umdeutung noch einmal in Kürze zusammenfassen:
a) Um 1140 werden die Tübinger Grafen zu Pfalzgrafen ernannt und
wird ihnen die waagrecht am Schaft der Lanze hängende 'Pfalz-
grafenfahne’ verliehen.
61 P. Scheven bei G. Schüttle aO. (1909/10), S. 55, und fast gleichlautend (1910/11),
S. 42, von diesem als „ein recht bemerkenswerter Gedanke“ charakterisiert. Lebhafte
Zustimmung auch bei M. Eimer aO., S. 254, Anm. 20: „P. Schevens Ansicht ist
sicherlich richtig. Wie könnten die Burgtürme auf Ringen stehen? Diese sollen
die Fahnen an der Stange halten.“ Danach hat Eimer also Scheven, bei dem doch
immerhin das „Schloß“ am Anfang steht, vollends in seinem Sinne umgedeutet.
Auch Schöttle ist bei jener Hypothese nicht stehengeblieben, wenn er aO.
(1910/11), S. 42 aus dem Wappen ein 'mittelalterlich geschriebenes T, also den
Anfangsbuchstaben des Wortes Tübingen’ herausliest.
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den Kopf stellt und es mit dem Tübinger Wappen vergleicht (Abb. 23).
Eine vermittelnde Ansicht geht dahin, daß „etwa dieses Schloß [!]
nachher in die Kirchenfahne 'umheraldisiert’ worden sein möchte,
indem man das Bild stürzte .. .“61. P. Scheven, von dem dieser Vor-
schlag aus dem Anfang dieses Jahrhunderts stammt, war damit zweifel-
los auf der richtigen Spur. Nur sehe ich es doch etwas anders: Der
unbeholfene Stempelschneider der Münze, der gewiß den Basler
Denar oder ein ähnliches Stück mit dem damals so beliebten Münzbild
der Stadtummauerung zum Vorbild nahm, hatte wohl gleichzeitig das
neue Pfalzgrafenwappen im Auge und sah in ihm ungekehrt eine als
Fahne mißverstandene Darstellung der drei Türme (vermutlich ihr zu-
liebe hat er dann den vorderen der ursprünglich vier Türme fortgelas-
sen, wodurch dann der Innenhof sozusagen in der Luft hing und somit
fälschlich als Raute bezeichnet wurde). Um sich dies klarzumachen,
braucht man nur eine verselbständigte Rohzeichnung des Pfalzgrafen-
wappens, wie sie etwa auf dem Siegel in unserer Abb. 12 rechts oben
gleich viermal erscheint, im gleichen Maßstab, aber umgekehrt, neben
das Münzbild des Tübinger Pfennigs zu setzen (Abb. 24). Dann wird
auch klar, daß der Stempelschneider, um beiden Fassungen gerecht zu
werden, die drei Ringe des Wappens unverstanden in sein Turmbild
mit hinüber nahm - eine höchst kuriose Kontamination, die diesen
ihren Charakter gerade dadurch deutlich verrät. Die drei Ringe wären
also dann auf dem Weg von Kroton nach Tübingen noch ein weiteres
Mal umfunktioniert worden, zuletzt freilich mit dem Ergebnis absolu-
ter Sinnlosigkeit. Der am Anfang dieser Arbeit zitierte Aby Warburg
hätte hier wohl von 'Verpuppung’ gesprochen, vielleicht auch von
einem 'Bedeutungspalimpsest’.
Das folgende Schema soll die einzelnen Etappen der Übernahme
und Umdeutung noch einmal in Kürze zusammenfassen:
a) Um 1140 werden die Tübinger Grafen zu Pfalzgrafen ernannt und
wird ihnen die waagrecht am Schaft der Lanze hängende 'Pfalz-
grafenfahne’ verliehen.
61 P. Scheven bei G. Schüttle aO. (1909/10), S. 55, und fast gleichlautend (1910/11),
S. 42, von diesem als „ein recht bemerkenswerter Gedanke“ charakterisiert. Lebhafte
Zustimmung auch bei M. Eimer aO., S. 254, Anm. 20: „P. Schevens Ansicht ist
sicherlich richtig. Wie könnten die Burgtürme auf Ringen stehen? Diese sollen
die Fahnen an der Stange halten.“ Danach hat Eimer also Scheven, bei dem doch
immerhin das „Schloß“ am Anfang steht, vollends in seinem Sinne umgedeutet.
Auch Schöttle ist bei jener Hypothese nicht stehengeblieben, wenn er aO.
(1910/11), S. 42 aus dem Wappen ein 'mittelalterlich geschriebenes T, also den
Anfangsbuchstaben des Wortes Tübingen’ herausliest.