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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0042
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Walter Burkert

Sprachbarriere hinweg immer noch die gleiche Merkwortreihe auswendig gelernt
worden. Mit der vereinfachten Alphabetschrift war zum ersten Mal ein Schrift-
system gefunden, das außerhalb der Zirkel von gelehrten Berufsschreibern ver-
wendbar war. Vom Schreibunterricht im syrisch-palästinensischen Raum läßt sich
eine gewisse Vorstellung gewinnen15. Wenn losephus feststellt, daß „von allen,
die mit den Griechen verkehrten, die Phöniker am meisten sich der Schrift be-
dienten, für private Wirtschaft wie für öffentliche Arbeiten“16, so hat dies zu seiner
Zeit schon tausendjährige Tradition. Für jenen 'Erfinder’, der sich erstmalig dieser
Buchstaben zur Aufzeichnung der griechischen Sprache bediente, ergibt sich: er
hat zumindest eine phönikisch-aramäische Schulstunde mitgemacht, sei es in Syrien
oder auf Cypem, vielleicht auch anderswo bei einem kundigen Auswanderer.
Es läßt sich von hier aus auch die Zufälligkeit der uns zugänglichen Bezeugung
ermessen: die semitischen Buchstabennamen sind im Griechischen nicht vor dem
5. Jh. bezeugt17, und doch müssen sie sofort mit dem Alphabet übernommen
worden sein; ein nachträgliches Eindringen der sinnentlehrten Wortgebilde ist
ganz unmöglich. Zur Gegenprobe kann das lateinische Alphabet dienen, das gerade
diese alte Merkwortreihe nicht tradiert hat; wie die Griechen selbst bei ihren
Zusatzbuchstaben Φ X Ψ einen einfachen e-Vokal an den Konsonanten anhäng-
ten und die Vokale - Y Ω - für sich klingen ließen, lernten die Latiner und
Römer, und wir nach ihnen, ihr A Be Ce. In diesem Punkte also steht er-
staunlicherweise die griechische Praxis der phönikisch-aramäischen näher als die
lateinische der griechischen.
Die Übernahme der phönikischen Schrift durch Griechen bedeutete also nicht
nur Kopie von Buchstabenformen, sondern Übertragung von Schreib unterricht
und setzt damit einen einigermaßen einläßlichen Kontakt voraus. Darauf weisen
auch die Gegenstände, die in der archäologischen Dokumentation fast nie auf-
tauchen und doch für den Schriftgebrauch nicht minder wichtig sind als einzelne
Graffiti: Schreibtafel und Lederrolle. Alles spricht dafür, daß sie von Anfang an
den Gebrauch der griechischen Schrift begleiten. Dabei hat die Schreibtafel,
δέλτος, ihren semitischen Namen dauerhaft bewahrt. Daltu, hebräisch daleth,
das semitische Wort für 'Türe’, wird schon in Ugarit für eine Schreibtafel ge-
braucht, wird auch im Hebräischen so verwendet18. Hölzerne Schreibtafelnwaren in
Mesopotamien so gut wie in Syrien und Palästina in Gebrauch; einige Schreib-
tafeln aus Elfenbein fanden sich im Palast Sargons in Nimrud19. Im Griechi-
15 Lemaire (1981).
16 C. Ap. 1, 28.
17 Σάν Pindar Fr. 70b 3; E. Schwyzer, Griechische Grammatik I (1939) 140f.
18 Galling (1971); KTU 5.7. - Lachisch I: The Lachisch Letters (1938) 79f.; A. Lemaire,
Inscriptions Hebraiques I: Les Ostraca (1977) HOf. Vgl. Massen (1967) 64; KAI Nr. 43,12. -
Das akkadische Wort ist Ze’w, hebräisch lüah, aramäisch lühä.
19 D. J. Wiseman, Assyrian Writing-Boards, Iraq 17 (1955) 1-13; Μ. Howard, Technical
Description of the Ivory Writing-Boards from Nimrud, ib. 14-20; H. Th. Bossert, Sie
 
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