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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0054
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Walter Burkert

Die Mobilität der magisch-mächtigen Seher ist bereits im Alten Orient be-
zeugt. Der König von Moab läßt Bileam vom Euphrat kommen, damit er Israel
verfluche, doch der Geist Gottes, der über den Seher kommt, spricht Segen über
Israel4. So werden in der Amarna-Korrespondenz tatsächlich Ärzte und Seher
angefordert, vom König von Ugarit wie vom König der Hethiter; auch ein König
von Alasia-Cypern wünscht einen 'Adler-Beschwörer’, einen Vogelschauer aus
Ägypten; König Muwatallis von Hattusa beordert einen Beschwörer aus Babylon5.
Ein babylonischer Beschwörungspriester in der charakteristischen Fischmaske ist
auch in Terqa in Nordsyrien dargestellt6. Dabei nimmt in Randgebieten mit
schwacher Königsmacht die Selbständigkeit des Sehers zu; er wandert nun aus
eigener Initiative, wie dies in Israel und Griechenland gleichermaßen bezeugt
ist7. Besonders im griechischen Bereich tritt, wie bei den eigentlichen Handwer-
kern, das freie Unternehmertum hervor. Was sich ein Seher einer Stadt gegen-
über leisten konnte, zeigt der Fall des Melampodiden Teisamenos, der 'Siegers’
von Plataiai, im Umgang mit Sparta8. Im Kontrast dazu schildert Platon im Ton
der Verachtung die 'Seher und Bettelpriester’, die mit ihren Anerbietungen „zu
den Toren der Reichen kommen“; und doch bezeugt er, daß sie auch ganze
„Städte“ überzeugen4. So hat Athen um 600 Epimenides zur Reinigung der Stadt
vom kylonischen Frevel berufen10, Sparta noch nach 466 Totenbeschwörer von
Phigalia wegen des bösen Endes des Pausanias11. Bereits um 670 hatte Thaletas
von Gortyn in Sparta eine Pest gestillt12; dessen Lehrer Onomakritos wiederum,
hieß es, sei als Lokrer bis Kreta gelangt, έπιδημοϋντα κατά τέχνην μαντικήν13,
womit ein für den Wanderarzt typischer Terminus sich auch für den Seher als
passend erweist. So kam laut Platon auch Diotima aus Mantineia nach Athen

4 AT Num. 22, 5; 24. Überraschend ist Bileam (Bacalam) als Seher der Vorzeit in dem
Text von Deir cAlla aufgetaucht, -^13, 35.
5 Helck (1979) 226f.; E. Edel, Ägyptische Ärzte und ägyptische Medizin am hethitischen
Königshof (1976); Ugarit: Knudtzon (1915) 49, 22; Alasia: ib. 35, 26. - Meissner II
(1925) 198 (KBo I 10 Rs. 42ff.).
6 Genge (1979) 44 nach Annales archeologiques de Syrie 2 (1952) 179 T. 2.
7 Grottanelli (1982b) bes. 651; 655f.; 664f.
8 Hdt. 9, 33-36. Zu den Melampodiden I. Löffler, Die Melampodie (1963); Kett (1966)
94-6.
9 PI. Resp. 364 b/e.vgl. Leg. 909b.
10 FGrHist 457 bes. T 4b; Burkert (1972b) 15f.
11 Plut. De sera 560 ef, Fr. 126, Φιγαλία Konjektur von Mittelhaus für Ιταλία bzw.
Θετταλία, RE XIX 2084, vgl. W. Burkert, RhM 105 (1962) 48f.
12 Plut. Mus. 42, 1146bc = Pratinas 4 F 9 (Tragicorum Graecorum Fragmenta ed B. Snell I),
Philodem. Mus. 4 = Diogenes von Babylon, SVF II 232; Plut. Mus. 9f., 1134b-e,
nach Glaukos von Rhegion; Datierung der Einführung der Gymnopaidia in Sparta
(Plut. 1134c) durch Euseb. Chron. auf a. Abr. 1348, 01. 27 (672/68).
13 Arist. Pol. 1274a25-8. Zum hippokratischen Begriff der έπιδημία H. Diller, Wanderarzt
und Aitiologe (1934).
 
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