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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0056
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Walter Burkert

Familie zu erhalten21. Ein Dekret des Königs Ptolemaios Philopator, um 210 v. Chr.,
verpflichtet alle diejenigen, die Dionysos-Mysterien in Ägypten durchfuhren,
sich in Alexandreia registrieren zu lassen und anzugeben, „von wem sie die heili-
gen Dinge übernommen haben, bis zu drei Generationen“22. Ein Mann vom
'telestischen’ Stand hat sich also nicht nur durch den Namen seines unmittel-
baren Lehrers zu legitimieren, sondern soll auch seinen geistlichen Groß- und Ur-
großvater kennen. Es liegt auf anderer Ebene und ist doch vergleichbar, wenn
Magnesia am Mäander für die neu zu organisierenden Dionysosmysterien aus
Theben drei Mänaden aus dem Geschlecht der Ino, der mythischen ersten
Mänade, kommen läßt23.
Daß geheimes Wissen nur dem eigenen Sohn weitergegeben werden darf, ist
eine Bestimmung, die auch im alchimistischen Schrifttum und in den Zauber-
papyri erscheint24. Sie gilt aber ähnlich auch schon für die Organisation der frühen
griechischen Ärzte. Die 'Familie’ der Asklepiaden25 nimmt in diesem Zusammen-
hang ihren rechten Platz ein. Der berühmte 'Eid des Hippokrates’ erlegt dem
Schüler Pflichten auf, die einer de-facto-Adoption gleichkommen26; der 'Nomos’
umschreibt, nicht weniger bezeichnend, die Weitergabe des Wissens als Mysterien-
initiation: „Heiliges wird heiligen Männern gezeigt, für profane ist es nicht er-
laubt, ehe sie geweiht werden durch die Orgien der Wissenschaft“27.
Eben die Bindung des heiligen Handwerks an die Familientradition samt ent-
sprechender Esoterik findet sich auch in den Keilschrifturkunden, die über vieler-

21 Demosth. 19, 249; 18, 120; 259f; H. Wankel, Demosthenes, Rede für Ktesiphon über
den Kranz (1976) 710-2, 1132-49. Seherfamilie: SEG 16 (1959) 193, mit einem Epi-
gramm, das auf Amphiaraos anspielt (Thebais Fr. 5 Allen, Pind. 01. 6, 13).
22 W. Schubart, Amtliche Berichte aus den Kgl. Preußischen Kunstsammlungen 38 (1916/7)
189f., Sammelbuch Nr. 7266; G. Zuntz Opuscula Selecta (1972) 88-101; P. Μ. Fraser,
Ptolemaic Alexandria II (1972) 345f.
23 O. Kern, Die Inschriften von Magnesia (1900) Nr. 215a; A. Henrichs HSCP 82 (1978)
123-37.
24 Μ. Berthelot, Collection des anciens alchimistes grecs (1888) II 30, 7: έφορκίσας ...
μηδενΐ μεταδιδόναι εί μή μόνον τέκνω και φίλω γνησίω. PGM 4, 475 μόνω δέ τέκνω
παραδοτά, vgl. 1, 193.
25 J. Bousquet, Delphes et les Asclepiades, BCH 80 (1956) 579-93 mit der neuen In-
schrift SEG 16, 326; Μ. Gamberale, Ricerche sul ΓΕΝΟΣ degli Asclepiadi, RAL 33
(1978) 83-95; S. Μ. Sherwin-White, Ancient Cos (1978) 257-63. Asklepios 'unser Vor-
fahr’, Eryximachos bei PI. Symp. 186e; Άσκληπιάδαι PI. Prot. 311b; Resp. 408b;
Phdr. 270c; παρά τοϊς γονεΰσιν έκ παίδων άσκουμένοις Galen Anat. admin. 2, 1, II 280f.
Kühn; Soran. Vit. Hippocr. If. Die extreme Skepsis von E. J. und L. Edelstein, Ascle-
pius II (1945) 53-62 ist durch die Inschrift aus Delphi widerlegt.
26 L. Edelstein, The Hippocratic Oath (1943) in: L. E., Ancient Medicine (1967) 3-63, bes.
40-44, der eine speziell pythagoreische Regel an Stelle der Handwerker-Tradition finden
möchte.
27 Lex 5, IV 642 Littre.
 
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