48
Walter Burkert
als deutliche Lehnübersetzung zustandebringt38. Für die ältere Zeit ist ein zwin-
gender Beweis nicht zu führen, doch die allgemeine Situation spricht dafür, daß
die Parallelität auf Wechselbeziehungen weist.
Ein weiterer Traditionsbereich, in dem die esoterische Vater-Sohn-Linie beson-
ders streng eingehalten und mit dauerhaftem Erfolg in der Fremde verbunden
war, ist auf jeden Fall noch zu nennen: die estruskische Haruspizin39; sie blieb
in Rom stets den 'fremden’ Spezialisten überlassen. Daß die vornehmen Familien
der Etrusker dieses 'Wissen’ für sich reservierten und nur innerhalb der Familie
Weitergaben, sagt ausdrücklich Tacitus; doch auch schon für Cicero ist die aus-
schließliche Weitergabe vom Vater auf den Sohn in dieser disciplina selbstverständ-
lich4". Daß sie bis in die Blütezeit Etruriens, bis in die archaische Epoche also
zurückgeht, ist im Emst nicht zu bezweifeln, auch wenn direkte Dokumente
fehlen. Die römische Geschichtsschreibung läßt die haruspices mit Selbstverständ-
lichkeit schon in der Königszeit amtieren, läßt den berühmten Attus Navius bei
Etruskern in die Lehre gehen41. Dies führt schließlich in die 'orientalisierende
Epoche’ Etruriens zurück; so schließt sich der Kreis.
2. Die Hepatoskopie
Daß die etruskische Haruspizin mit der in Mesopotamien entwickelten Form
der Weissagung aus Schaflebern auffallend übereinstimmt und daß dies am
ehesten als tatsächliche Vermittlung einer 'Lehre’ von Babylon bis Etrurien zu
erklären ist, wurde seit der Erschließung der Keilschrifttexte festgestellt1, doch
38 'Söhne der Menschen’ = Menschen im Thomasevangelium 28, A. Guillaumont in:
Studies in Gnosticism and Hellenistic Religions pres. to G. Quispel (1981) 191.
39 Thulin III (1909) 131-49; Pfiffig (1975) 36-41; 115-27; J. Heurgon, Tarquitius Priscus
et l’organisation de l’ordre des haruspices sous l’empereur Claude, Latomus 12 (1953)
402-17.
40 Tac. Ann. 11, 15: primäres Etruriae ... retinuisse scientiam et in familias propagasse;
Cic. div. 1, 92: ut de principum filiis X ex singulis Etruriae populis in disciplinam traderen-
tur; ad fam. 6, 6, 3 an A. Caecina: Tuscae disciplinae, quam a patre ... acceperas.
41 Dion. Hal. Ant. 3, 70; -> II 2, 9.
1 Ein babylonischer Leberschautext wurde erstmals 1873 durch F. Lenormant bekannt
gemacht; vgl. Bezold bei Blecher (1905) 247; Allgemeine Hinweise auf die orientali-
sche Herkunft der griechischen Leberschau bei Bouche-Leclerq I (1879) 170; vgl. Far-
nell (1911) 248f.; zu babylonisch-etruskischen Beziehungen Boissier (1905); Blecher
(1905) (ablehnend); Thulin II (1906); R. Pettazzoni, Stud. Etr. 1 (1927) 195-9; Nougayrol
(1955b); (1966); Μ. Pallottino, Etruscologia (19635) 247f.; Pfiffig (1975) 115-27. - All-
gemein zur mesopotamischen Hepatoskopie A. Boissier, Mantique babylonienne et man-
tique hittite (1935); La divination en Mesopotamie ancienne, 14e Rencontre Assyriologique
International (1966); Nougayrol (1968); U. Jeyes, The Act of Extispicy in Ancient Meso-
potamia. An Outline, Assyriological Miscellanies 1, 1980, 13-32.
Walter Burkert
als deutliche Lehnübersetzung zustandebringt38. Für die ältere Zeit ist ein zwin-
gender Beweis nicht zu führen, doch die allgemeine Situation spricht dafür, daß
die Parallelität auf Wechselbeziehungen weist.
Ein weiterer Traditionsbereich, in dem die esoterische Vater-Sohn-Linie beson-
ders streng eingehalten und mit dauerhaftem Erfolg in der Fremde verbunden
war, ist auf jeden Fall noch zu nennen: die estruskische Haruspizin39; sie blieb
in Rom stets den 'fremden’ Spezialisten überlassen. Daß die vornehmen Familien
der Etrusker dieses 'Wissen’ für sich reservierten und nur innerhalb der Familie
Weitergaben, sagt ausdrücklich Tacitus; doch auch schon für Cicero ist die aus-
schließliche Weitergabe vom Vater auf den Sohn in dieser disciplina selbstverständ-
lich4". Daß sie bis in die Blütezeit Etruriens, bis in die archaische Epoche also
zurückgeht, ist im Emst nicht zu bezweifeln, auch wenn direkte Dokumente
fehlen. Die römische Geschichtsschreibung läßt die haruspices mit Selbstverständ-
lichkeit schon in der Königszeit amtieren, läßt den berühmten Attus Navius bei
Etruskern in die Lehre gehen41. Dies führt schließlich in die 'orientalisierende
Epoche’ Etruriens zurück; so schließt sich der Kreis.
2. Die Hepatoskopie
Daß die etruskische Haruspizin mit der in Mesopotamien entwickelten Form
der Weissagung aus Schaflebern auffallend übereinstimmt und daß dies am
ehesten als tatsächliche Vermittlung einer 'Lehre’ von Babylon bis Etrurien zu
erklären ist, wurde seit der Erschließung der Keilschrifttexte festgestellt1, doch
38 'Söhne der Menschen’ = Menschen im Thomasevangelium 28, A. Guillaumont in:
Studies in Gnosticism and Hellenistic Religions pres. to G. Quispel (1981) 191.
39 Thulin III (1909) 131-49; Pfiffig (1975) 36-41; 115-27; J. Heurgon, Tarquitius Priscus
et l’organisation de l’ordre des haruspices sous l’empereur Claude, Latomus 12 (1953)
402-17.
40 Tac. Ann. 11, 15: primäres Etruriae ... retinuisse scientiam et in familias propagasse;
Cic. div. 1, 92: ut de principum filiis X ex singulis Etruriae populis in disciplinam traderen-
tur; ad fam. 6, 6, 3 an A. Caecina: Tuscae disciplinae, quam a patre ... acceperas.
41 Dion. Hal. Ant. 3, 70; -> II 2, 9.
1 Ein babylonischer Leberschautext wurde erstmals 1873 durch F. Lenormant bekannt
gemacht; vgl. Bezold bei Blecher (1905) 247; Allgemeine Hinweise auf die orientali-
sche Herkunft der griechischen Leberschau bei Bouche-Leclerq I (1879) 170; vgl. Far-
nell (1911) 248f.; zu babylonisch-etruskischen Beziehungen Boissier (1905); Blecher
(1905) (ablehnend); Thulin II (1906); R. Pettazzoni, Stud. Etr. 1 (1927) 195-9; Nougayrol
(1955b); (1966); Μ. Pallottino, Etruscologia (19635) 247f.; Pfiffig (1975) 115-27. - All-
gemein zur mesopotamischen Hepatoskopie A. Boissier, Mantique babylonienne et man-
tique hittite (1935); La divination en Mesopotamie ancienne, 14e Rencontre Assyriologique
International (1966); Nougayrol (1968); U. Jeyes, The Act of Extispicy in Ancient Meso-
potamia. An Outline, Assyriological Miscellanies 1, 1980, 13-32.