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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0062
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Walter Burkert

wie im Griechischen und vor allem Etruskisch-Lateinischen bezeugte binäre Logik
des Systems: es gibt einen 'günstigen’ und einen 'feindlichen’ Teil der Leber, und
je nachdem wechselt das Vorzeichen der Beobachtungen; das Normale ist 'gut’
nur im günstigen Teil, gefährlich im feindlichen Teil, Störung im feindlichen
Teil ist 'gut’22. Weniger Beweiskraft wird man einleuchtenden Assoziationen zu-
billigen, etwa daß der fehlende 'Kopf auf Untergang, zwei 'Köpfe’ auf zwei ri-
valisierende Machthaber hinweist. Immerhin reicht auch hier die Gemeinsamkeit
von authentischen mesopotamischen Berichten bis zu den Schilderungen römi-
scher Dichter23.
Am unsichersten ist das scheinbar schlagendste Argument für die assyrisch-
etruskische Achse, das der sprachlichen Entlehnung. Boissier, der zum ersten
Mal systematisch babylonische Leberomina-Texte bearbeitete, stellte fest, daß die
Opferleber mit dem Ideogramm HAR bezeichnet wird, und fand hierin die
schlagende Etymologie für das bislang nicht sicher gedeutet Wort haruspex, das
doch sowieso 'Leberschauer’ heißen müßte24 25. Dies wirkt zunächstverblüffend; doch
Zweifel behalten die Oberhand. Wenn eine Vermittlung der Lehre von Meso-
potamien nach Etrurien wahrscheinlich ist, so war doch offensichtlich nicht das
Erlernen der Keilschrift damit verbunden. In mündlicher Instruktion aber dürfte
etwas wie HAR nie laut geworden sein; das Zeichen spielt seine Rolle hier nur
als Ideogramm, akkadisch hieß die Opferleber amutu15. Obendrein haben die
Etrusker, die eigentlichen Spezialisten, ein ganz anderes Wort für diesen Seher26 27 28;
wie kämen Lateiner für das, was bei ihnen die Etrusker ausübten, zu einer su-
merischen Bezeichnung? Man muß wohl Boissiers Etymologie als Beispiel dafür
nehmen, wie leicht der Zufall mit sprachlichem Gleichklang uns narren kann.
Suggestiver vielleicht ist die Tatsache, daß das 'Zeichen’, das der Seher zu deuten
hat, auf akkadisch tertu heißt, Plural teretu2\ was an die τέρατα, mit denen ein
Seher wie Τειρεσίας zu tun hat, doch merkwürdig anklingt. Doch ein kurioser
Zufall ist auch hier nicht auszuschließen.
Cicero schreibt, es sei undenkbar, daß Etrusker, Griechen, Ägypter und Punier
in Sachen Hepatoskopie zu einem gemeinsamen Consilium zusammenkämen;
sie würden sich nicht einig werden, nec esse unam omnium scientiam1\ Der Skep-
22 Thulin II (1906) 34f. nach Boissier (1905) 220-34.
23 Fehlender 'Kopf Plut. Kim. 18, 5; Zwei 'Köpfe’ Sen. Oed. 353-65, Lucan. Bell. civ.
1, 618-29; zu direkt zieht W. G. Schileico, Ein Omentext Sargons von Akkad und sein
Nachklang bei römischen Dichtern, AOF 5 (1928/9) 214-8 die Verbindungen.
24 A.Boissier, Memoires de la Societe linguistique 11 (1901) CXXXIX; 330; Thulin II (1907)
3,1; A. Ernout-A. Meillet, Dictionnaire etymologique de la langue latine "(19594) 290
mit Fragezeichen.
25 AHw 46.
26 Nämlich netsvis, Pallottino a.O. (o. Anm. 1).
27 AHw 1350f.; Zimmern (1901) 88f.
28 Cic. div. 2,28. Blecher -> A. 5.
 
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