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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0065
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Die orientalisierende Epoche

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3. Deposita bei Tempelgründungen
'Bauopfer’ sind ein recht allgemeiner und verbreiteter Brauch, dem Ethnologen
wie dem Folkloristen wohlbekannt. Doch gibt es kulturspezifische Ausformun-
gen, die zur festen Tradition werden können. Im Nahen Osten, wo zu den ar-
chäologischen Befunden wiederholt auch Schriftquellen kommen, treten nach Ort
und Zeit verschiedene Formen hervor: Es gibt Wächterfiguren, die unter dem Haus
beigesetzt werden, es gibt Steinplatten mit Inschriften, es gibt aber auch wenig spe-
zifische Opferbräuche, mit Tieropfer und Libationen; dazu kommt, vor allem bei
den Assyrern, der Brauch, Stücke von Wertgegenständen mannigfacher Art, ver-
schiedene wertvolle Metalle und kostbare Steine unter Tempel oder Palast bei-
zusetzen1. Ein Text für ein solches Ritual bei der Errichtung eines neuen Hauses
ist im hethitischen Bereich erhalten: Gold, Silber, Bronze und weitere Gegen-
stände werden an bestimmten Stellen unter Gebeten deponiert2.
Es gibt Vergleichbares, doch nicht genau Entsprechendes auch in der minoi-
schen Welt: Farbige Meereskiesel, kleine Gefäße, auch einmal Tierknochen oder
Siegel unter dem Boden oder der Schwelle eines Sakralraums3. Ein Depositum
der östlichen Form, absichtlich beigesetzte Bronzegegenstände sind dagegen unter
dem spätbronzezeitlichen 'Tempel IV’ in Kition auf Cypem zutage gekommen,
und die Ausgräber haben sogleich auf die mesopotamische Praxis verwiesen4. Der
nächste Befund, näher dem griechischen Kemland, stammt dann aus der Periode
um 800 in Kreta: in einem wieder benutzten Tholos-Grab bei Knossos hat, nach
Boardmans Deutung, eine aus Syrien eingewanderte Goldschmiedefamilie ein De-
positum von Goldklümpchen, halbbearbeiteten Stücken und anderem Schmuck
vergraben und so das Grab für den eigenen Gebrauch geweiht5. Hier also ist
der Import der religiösen mit der handwerklichen Praxis aus dem Orient direkt
zu fassen. Aus der folgenden Zeit gibt es zwei vielbeachtete Deposita vergleich-
barer Art unter zwei berühmten Tempeln: das eine fand sich unter dem älte-
sten Artemision von Delos und wird auf etwa 700 datiert; mykenische und zeit-
genössische kleine Wertgegenstände, zum Teil schon fragmentiert, waren zusam-

1 E. D. van Buren, Foundation Figurines and Otterings (1931); vor allem Ellis (1968);
davon zu trennen sind die in Ziegelkapseln beigesetzten magischen Figuren, dazu Rittig
(1978) pass. Vgl. J. Μ. Weinstein, Foundation Deposits in Ancient Egypt (1973).
2 ANET 356f.
3 Meereskiesel, Ostraum des Heiligtums von Archanes: I. Sakellarakis Praktika 1979,
381; kleine Gefäße, Tierknochen, ein Siegel unter einem Steinblock im rKannibalen’-
Kultraum von Knossos, P. Warren in R. Hägg, N. Marinatos (ed.), Sanctuaries and Cults
in the Aegean Bronze Age (1981) 166; 3 Kylikes-Paare unter einem Kultraum in Tiryns:
K. Kilian ib. 53.
4 V. Karageorghis BCH 99 (1975) 831-35.
5 Boardman (1967) 57-67; (1981) 62; -* I 2, 38.
 
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