Metadaten

Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0067
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die orientalisierende Epoche

57

Gründung erfolgt 'nach der Botschaft der Beschwörungskunst’12, der charismatische
Spezialist darf nicht fehlen. Dann aber hat man sich vorzustellen, daß auch bei
dem Bau in Gortyn, wo vielleicht nordsyrische Handwerker wirkten, ja vielleicht
beim Bau auf Delos auch ein δημιουργός anderer Art, ein wandernder Seher
zugegen war.

4. Katharmos
Während die Entsprechungen mesopotamischer und etruskischer Hepatoskopie
seit langem diskutiert worden sind, sind die kaum geringeren Übereinstimmungen
östlicher Magie mit dem kathartischen Ritual der Griechen kaum je im Detail ins
Auge gefaßt worden. Dabei besteht auch insofern eine Parallele, als wiederum
im homerischen Epos die später geläufige Praxis nicht erscheint, wie schon antike
Kommentatoren feststellten; im kyklischen Epos jedoch, in der 'Aithiopis’ war die
Reinigung des Achilleus nach dem Totschlag an Thersites dargestellt1. Dies wird
meist als 'jüngere’ Stufe genommen, scheint doch die Sorge um Reinigungen
und Reinheit ein wesentliches Charakteristicum der archaischen Epoche zu sein2.
Daß der Einfluß Delphis darin zum Ausdruck kommt, gilt als ausgemacht.
Mögliche Kontakte mit einem skythischen 'Schamanismus’ haben seit Karl Meuli
die Aufmerksamkeit auf sich gezogen3; auf 'Babylon’ hat einzig Lewis Richard
Famell seinen Blick gerichtet, mit dem Ergebnis, die Unterschiede zwischen Ost
und West seien so wichtig, daß das griechische kathartische System nicht aus
Babylon erborgt sein könne, zumindest könnten etwaige Übernahmen nicht in die
vorhomerische Epoche fallen4. Dies hat beruhigend gewirkt, obgleich Famell
Elomer ins 10. Jh. datierte und damit für das 8./7. Jh. 'Einflüsse’ durchaus zu-
ließ, ja in Einzelfällen ausdrücklich anerkannte.
12 Ellis (1968) 16; 31; 34; ina sipir asipüti: Sanherib, D. D. Luckenbill, The Annals of
Sennacherib (1924) 137, 31 (= Luckenbill II [192] § 437); Nabopolassar, S. Langdon,
Die neubabylonischen Königsinschriften (1912) 62, 40-3.
1 Schol. T II. 11, 690a, III 261 Erbse: παρ’ Όμήρω ούκ ο’ίδαμεν φονέα καϋαιρόμενον. vgl.
aber II. 24, 480 m. Schol. - Aithiopis, ProkL Chrest. p. 106f. Allen.
2 Nilsson I (1967) 91f.; 632-7 und Greek Piety (1948) 41-7; Dodds (1951) 28-63; L. Mou-
linier, Le pur et l’impur dans la pensee et la sensibilite des grecs (1952); dagegen be-
streitet Parker (1983) 15f.; 66-70; 115f.; 130-43, daß hier eine Entwicklung nachweisbar
sei.
3 K. Meuli, Skythica, Hermes 70 (1935) 121-76 = Ges. Sehr. II (1975) 817-79; vgl. Dodds
(1951) 135-78.
4 Famell (1911) 289; das Buch scheint die einzige redliche und gründliche Auseinander-
setzung mit dem Problem geblieben zu sein, wobei allerdings Farnell anscheinend die
Originalsprachen nicht studiert hat. -* II 2, 36.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften