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Walter Burkert
war Thaletas von Gortyn tätig, der eine Pest in Sparta heilte42; Gortyn ist gleich-
falls ein Zentrum orientalisierender Handwerkskunst. Ganz ins Mythische führt
Karmanor, der Apollon selbst nach der Tötung des Delphischen Drachens rei-
nigte; dieser Name scheint nicht griechisch zu sein43. Jedenfalls ist Kreta nicht
nur das alte Zentrum der Minoischen Kultur, sondern auch - nächst Cypem -
der dem semitischen Orient am nächsten verbundene Bereich in der geometri-
schen und frühorientalisierenden Epoche. Apollon selbst hat merkwürdige rituelle
Verbindungen zum semitischen Orient, vor allem in der Feier des Neumondtages
und des siebten Monatstages44. So wird die Annahme bloßen Zufalls nachge-
rade zur unwahrscheinlichsten Hypothese.
Es bleibt die Frage, ob nicht sprachliche Entlehnungen den schlüssigen Beweis
für die kulturelle Abhängigkeit vom Osten liefern können. An nichtgriechische
Eigennamen wie Karmanor oder auch Branchos und Rhakios45 Assoziationen zu
knüpfen, ist wenig aussichtsvoll. Ernster ist die Vermutung, daß gerade das Ver-
bum καθαίρω samt dem Adjektiv καθαρός an einen semitischen Stamm im Um-
kreis der 'Reinigungen’ anknüpft, qatäru 'räuchern’46. Nicht weniger suggestiv
ist der Zusammenklang des akkadischen Wortes für 'beschmutzt’, lu”u, luwwu, mit
dem zu beseitigenden 'Schmutz’ der griechischen Reinigungsrituale, λύματα,
λύθρον. Griechen konnten diese Wörter ebenso mit λύειν wie mit λούειν asso-
ziieren, doch lassen die Regeln der Wortbildung das eine nicht, das andere nur
mit Schwierigkeiten zu47. Freilich sind beide Wortgruppen, insbesondere aber
καθαίρειν in der Sprache Homers bereits verwurzelt, haben also den Fremd-
wörterstatus längst überwunden. Ähnlich steht es mit einem dritten Gleichklang
in diesem Bereich: άρά heißt Gebet und Fluch, der άρητήρ Chryses ist es, der
eine Pest herbeiführen und wieder bannen kann; 'fluchen’ heißt auf Akkadisch
aber aräru; arä! 'fluche’, lautet der Auftrag des Königs von Moab an Bileam;
Griechen hätten dieses Wort in dieser Situation wenn nicht grammatikalisch so
42 -* II 1, 12.
43 Anm. 9.
44 Apollon und Numenia: Hdt. 6, 57, 2; Philochoros FGrHist 328 F 88; νουμηνιασταί des
Apollon Delphinios: F. Graf MH 31 (1974) 214; vgl. RE XVII 1293; Apollon έβδομαγέτας
Aisch. Sept. 800f., vgl. Hdt. 6, 57, 2, Έβδόμειος IG II/III2 4974, Έβδομαίων Inschriften
von Erythrai (1972/3) 207, 87; Έβδομάϊα der Molpen von Milet LSAM 50, 6; 21 etc. -
Neumondfest der Juden: 1. Sam. 20, 3; 2. Kön. 4, 23; Esra 3, 1 etc. Vgl. auch Burkert
(1975).
45 rähü 'Spukmacher’ AHw 944a. Rhakios ist der Gatte der Manto, Ziehvater des Mopsos.
46 S. Levin SMEA 13 (1971) 31-50 zu νέκταρ; Burkert (1975) 77. Vgl. AHw 907 (quatärüy,
930f. (qutrenum 'Weihrauchopfer’); AT z.B. 2. Kön. 23, 5 jeqatter(u) 'sie räucherten’, was
transskribiert in etwa έκάϋηρ(ε/αν) ergäbe.
47 AHw 565 lu"u 'beschmutzt’, lütu(m) 'Schmutz’; rimk[i lu\’ti vom schmutzigen Wasch-
wasser der Reinigung Maqlü 1, 105. Zu den Schwierigkeiten der Wortbildung von λΰμα/
λύϋρον Chantraine (1968/80) 650f., zu Bedeutung und Assoziationen E. Tagliaferro in:
Sangue e Antropologia Biblica I (1980) 182, 36; 186-9; vgl. auch lustrum (Anm. 32).
Walter Burkert
war Thaletas von Gortyn tätig, der eine Pest in Sparta heilte42; Gortyn ist gleich-
falls ein Zentrum orientalisierender Handwerkskunst. Ganz ins Mythische führt
Karmanor, der Apollon selbst nach der Tötung des Delphischen Drachens rei-
nigte; dieser Name scheint nicht griechisch zu sein43. Jedenfalls ist Kreta nicht
nur das alte Zentrum der Minoischen Kultur, sondern auch - nächst Cypem -
der dem semitischen Orient am nächsten verbundene Bereich in der geometri-
schen und frühorientalisierenden Epoche. Apollon selbst hat merkwürdige rituelle
Verbindungen zum semitischen Orient, vor allem in der Feier des Neumondtages
und des siebten Monatstages44. So wird die Annahme bloßen Zufalls nachge-
rade zur unwahrscheinlichsten Hypothese.
Es bleibt die Frage, ob nicht sprachliche Entlehnungen den schlüssigen Beweis
für die kulturelle Abhängigkeit vom Osten liefern können. An nichtgriechische
Eigennamen wie Karmanor oder auch Branchos und Rhakios45 Assoziationen zu
knüpfen, ist wenig aussichtsvoll. Ernster ist die Vermutung, daß gerade das Ver-
bum καθαίρω samt dem Adjektiv καθαρός an einen semitischen Stamm im Um-
kreis der 'Reinigungen’ anknüpft, qatäru 'räuchern’46. Nicht weniger suggestiv
ist der Zusammenklang des akkadischen Wortes für 'beschmutzt’, lu”u, luwwu, mit
dem zu beseitigenden 'Schmutz’ der griechischen Reinigungsrituale, λύματα,
λύθρον. Griechen konnten diese Wörter ebenso mit λύειν wie mit λούειν asso-
ziieren, doch lassen die Regeln der Wortbildung das eine nicht, das andere nur
mit Schwierigkeiten zu47. Freilich sind beide Wortgruppen, insbesondere aber
καθαίρειν in der Sprache Homers bereits verwurzelt, haben also den Fremd-
wörterstatus längst überwunden. Ähnlich steht es mit einem dritten Gleichklang
in diesem Bereich: άρά heißt Gebet und Fluch, der άρητήρ Chryses ist es, der
eine Pest herbeiführen und wieder bannen kann; 'fluchen’ heißt auf Akkadisch
aber aräru; arä! 'fluche’, lautet der Auftrag des Königs von Moab an Bileam;
Griechen hätten dieses Wort in dieser Situation wenn nicht grammatikalisch so
42 -* II 1, 12.
43 Anm. 9.
44 Apollon und Numenia: Hdt. 6, 57, 2; Philochoros FGrHist 328 F 88; νουμηνιασταί des
Apollon Delphinios: F. Graf MH 31 (1974) 214; vgl. RE XVII 1293; Apollon έβδομαγέτας
Aisch. Sept. 800f., vgl. Hdt. 6, 57, 2, Έβδόμειος IG II/III2 4974, Έβδομαίων Inschriften
von Erythrai (1972/3) 207, 87; Έβδομάϊα der Molpen von Milet LSAM 50, 6; 21 etc. -
Neumondfest der Juden: 1. Sam. 20, 3; 2. Kön. 4, 23; Esra 3, 1 etc. Vgl. auch Burkert
(1975).
45 rähü 'Spukmacher’ AHw 944a. Rhakios ist der Gatte der Manto, Ziehvater des Mopsos.
46 S. Levin SMEA 13 (1971) 31-50 zu νέκταρ; Burkert (1975) 77. Vgl. AHw 907 (quatärüy,
930f. (qutrenum 'Weihrauchopfer’); AT z.B. 2. Kön. 23, 5 jeqatter(u) 'sie räucherten’, was
transskribiert in etwa έκάϋηρ(ε/αν) ergäbe.
47 AHw 565 lu"u 'beschmutzt’, lütu(m) 'Schmutz’; rimk[i lu\’ti vom schmutzigen Wasch-
wasser der Reinigung Maqlü 1, 105. Zu den Schwierigkeiten der Wortbildung von λΰμα/
λύϋρον Chantraine (1968/80) 650f., zu Bedeutung und Assoziationen E. Tagliaferro in:
Sangue e Antropologia Biblica I (1980) 182, 36; 186-9; vgl. auch lustrum (Anm. 32).