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Walter Burkert
griechischen Kleinasien seltene Kuriosität8, in Mesopotamien dagegen auch lite-
rarisch direkt bezeugt9.
Tote, die sich wirkungsmächtig erweisen, heißen griechisch 'Heroen’; daß Heroen
insbesondere die Macht haben, alle möglichen Krankheiten über die Menschen
zu bringen, wenn sie nicht 'besänftigt’ werden, zeigt besonders beredt und spaßig
ein neues Aristophanes-Fragment10. Gleiche Angst gilt im Akkadischen dem
etemmu, der für vielerlei Krankheiten die Ursache sein kann; hier liegen wieder-
um ausführliche Beschwörungstexte vor11: „Wenn ein Totengeist einen Menschen
gepackt hat“, „die Hand eines Totengeistes“12, bedarf es der Beschwörung. So
empfindet und betet der Kranke selbst: „Sei es nun ein Totengeist meiner Fa-
milie oder meiner Hausgemeinschaft oder der Totengeist eines im Kampf Ge-
töteten oder ein herumirrender Totengeist“13. Es ist für die psychosozialen be-
dingungen des Leidens bezeichnend, daß gerade die Geister von Nahestehenden
zu fürchten sind: „Die Hand des Totengeistes seines Vaters und seiner Mutter
hat ihn gepackt“14. Nicht weniger fürchtet man den Zorn derer, die keines
natürlichen Todes gestorben sind, der βιαιοθάνατοι nach griechischer Termino-
logie: Der „im Kampf Getötete“ und der Unbestattete, „der in der Wüste liegt,
von Erde nicht bedeckt“, „dessen Leichnam man in die Steppe warf...: sein Geist
ist ruhelos auf der Erde“15. Doch auch ein „fremder Totengeist“, „dessen Namen
niemand kennt“, kann hinter den Qualen eines Kranken stehen16.
Der griechische Terminus für solchen 'Zorn’ eines Toten ist μήνιμα. Er tritt
in bezeichnender Weise schon bei Homer auf: Hektor droht im Sterben Achil-
leus, der ihm die Bestattung verweigern will, er könne ihm zum ϋεών μήνιμα
werden und ihn selbst zu Tode bringen; Elpenor fordert von Odysseus eine or-
dentliche Bestattung, damit er nicht zum μήνιμα werde17. Dies sind olfenbar
kritische Fälle, der „im Kampf getötete“ und der „unbestattete“, herumirrende
Totengeist. Daß man den „alten μηνίματα“ mit magischen Weihen zu Leibe geht,
sagt ausdrücklich Platon; sie manifestieren sich in „größten Leiden“, die in „gewis-
8 Th. Wiegand, Sechster vorläufiger Bericht über die in Milet und Didyma vorgenom-
menen Ausgrabungen, Abh. Berlin (1908) 27; Nilsson (1967) 177, 1; RE Suppl. VIII 136.
9 CAD II (A) 324 s.v. arütu (das Wort ist anders aufgefaßt von Ebeling [1931] 132, AHw
72b).
10 Aristophanes, Heroes, Fr. 58 bei C. Austin, Comicorum Graecorum Fragmenta in Papy-
ris reperta (1973) = ZPE 1 (1967) 161f.; Th. Geizer ib. 4 (1969) 123-33.
11 Bes. Ebeling (1931) nr. 30 A-F; nr. 31 'Beschwörungen und Riten gegen den Toten-
geist’.
12 Ebeling (1931) 80, Nr. 21, 1; 138; Nr. 30 C 1; 142, Nr. 30 D 1.
13 SAHG 341 = Ebeling (1931) 141, Nr. 30 C Rs. lOf.
14 Ebeling (1931) 84 Nr. 21 Rs. 23; vgl. Castellino (1977) 647.
15 Thompson I (1903) 38f. (Serie utukki lemnütiy, Gilgames XII 151f.; Vgl. Ebeling (1931)
145, Nr. 30 C 22-9.
16 Ebeling (1931) 145, Nr. 30 E 22.
17 II. 22, 358; Od. 11, 73.
Walter Burkert
griechischen Kleinasien seltene Kuriosität8, in Mesopotamien dagegen auch lite-
rarisch direkt bezeugt9.
Tote, die sich wirkungsmächtig erweisen, heißen griechisch 'Heroen’; daß Heroen
insbesondere die Macht haben, alle möglichen Krankheiten über die Menschen
zu bringen, wenn sie nicht 'besänftigt’ werden, zeigt besonders beredt und spaßig
ein neues Aristophanes-Fragment10. Gleiche Angst gilt im Akkadischen dem
etemmu, der für vielerlei Krankheiten die Ursache sein kann; hier liegen wieder-
um ausführliche Beschwörungstexte vor11: „Wenn ein Totengeist einen Menschen
gepackt hat“, „die Hand eines Totengeistes“12, bedarf es der Beschwörung. So
empfindet und betet der Kranke selbst: „Sei es nun ein Totengeist meiner Fa-
milie oder meiner Hausgemeinschaft oder der Totengeist eines im Kampf Ge-
töteten oder ein herumirrender Totengeist“13. Es ist für die psychosozialen be-
dingungen des Leidens bezeichnend, daß gerade die Geister von Nahestehenden
zu fürchten sind: „Die Hand des Totengeistes seines Vaters und seiner Mutter
hat ihn gepackt“14. Nicht weniger fürchtet man den Zorn derer, die keines
natürlichen Todes gestorben sind, der βιαιοθάνατοι nach griechischer Termino-
logie: Der „im Kampf Getötete“ und der Unbestattete, „der in der Wüste liegt,
von Erde nicht bedeckt“, „dessen Leichnam man in die Steppe warf...: sein Geist
ist ruhelos auf der Erde“15. Doch auch ein „fremder Totengeist“, „dessen Namen
niemand kennt“, kann hinter den Qualen eines Kranken stehen16.
Der griechische Terminus für solchen 'Zorn’ eines Toten ist μήνιμα. Er tritt
in bezeichnender Weise schon bei Homer auf: Hektor droht im Sterben Achil-
leus, der ihm die Bestattung verweigern will, er könne ihm zum ϋεών μήνιμα
werden und ihn selbst zu Tode bringen; Elpenor fordert von Odysseus eine or-
dentliche Bestattung, damit er nicht zum μήνιμα werde17. Dies sind olfenbar
kritische Fälle, der „im Kampf getötete“ und der „unbestattete“, herumirrende
Totengeist. Daß man den „alten μηνίματα“ mit magischen Weihen zu Leibe geht,
sagt ausdrücklich Platon; sie manifestieren sich in „größten Leiden“, die in „gewis-
8 Th. Wiegand, Sechster vorläufiger Bericht über die in Milet und Didyma vorgenom-
menen Ausgrabungen, Abh. Berlin (1908) 27; Nilsson (1967) 177, 1; RE Suppl. VIII 136.
9 CAD II (A) 324 s.v. arütu (das Wort ist anders aufgefaßt von Ebeling [1931] 132, AHw
72b).
10 Aristophanes, Heroes, Fr. 58 bei C. Austin, Comicorum Graecorum Fragmenta in Papy-
ris reperta (1973) = ZPE 1 (1967) 161f.; Th. Geizer ib. 4 (1969) 123-33.
11 Bes. Ebeling (1931) nr. 30 A-F; nr. 31 'Beschwörungen und Riten gegen den Toten-
geist’.
12 Ebeling (1931) 80, Nr. 21, 1; 138; Nr. 30 C 1; 142, Nr. 30 D 1.
13 SAHG 341 = Ebeling (1931) 141, Nr. 30 C Rs. lOf.
14 Ebeling (1931) 84 Nr. 21 Rs. 23; vgl. Castellino (1977) 647.
15 Thompson I (1903) 38f. (Serie utukki lemnütiy, Gilgames XII 151f.; Vgl. Ebeling (1931)
145, Nr. 30 C 22-9.
16 Ebeling (1931) 145, Nr. 30 E 22.
17 II. 22, 358; Od. 11, 73.