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Walter Burkert
zu Boden, berührt die Kehle des Kranken mit einem hölzernen Messer und
durchschneidet mit einem veritablen Messer die Kehle der Ziege. Dann aber
wird die geschlachtete Ziege mit Spezereien ausgestopft, mit einem Gewand be-
kleidet, mit Schuhen versehen, ihre Augen werden geschmückt, die Kopfbinde
des Kranken wird dem Tier umgelegt; sie wird „wie ein toter Mensch“ betreut,
während der Kranke aus dem Hause geht. Der Beschwörer erhebt vor dem Ka-
daver die Totenklage, bringt Totengaben, libiert mit Wasser, Bier, Röstkom,
Milch, Honig, Rahm und Öl, begräbt das Tier unter Totenopfern für die Ziege
und den 'Totengeist der Familie’. So ist der Kranke befreit.
Die Unterschiede beider Rituale sind nicht zu übersehen; insbesondere wird
in Munichia ein Opfer am Altar beschrieben, während im Osten ein Sterben im
häuslichen Bett durchgespielt wird. Die Ähnlichkeit der Praxis, indem hier wie
dort eine Ziege in menschlichen Kleidern zum Ersatzopfer gewählt wird, ist
trotzdem frappant; um Heilung von Krankheit geht es auch in der Legende von
Munichia. Im übrigen wird von hier as vorstellbar, was gemeint ist, wenn Gellius
für den römischen Veiovis-Kult bezeugt, dort werde eine Ziege ritu humano ge-
opfert6. Beim Opfer für Dionysos Anthroporraistes auf Tenedos, wo Beiname und
Legende wiederum auf Menschenopfer weisen, wird das geopferte Kalb mit
Schuhen versehen7 8.
An Parallelen also fehlt es nicht. Unmittelbaren Kontakt könnte die sprachliche
Entlehnung beweisen, doch bleibt es abermals bei einem Wielleicht’. Der Name
Embaros - mit langem ä - klingt ungriechisch, jedenfalls unattisch. Nun nennt
der Attizist Pausanias und danach auch andere Lexika als Variante des Namens
'Baros’. Dies klingt noch exotischer, entspricht nun aber sehr genau dem akkadi-
schen Wort für den 'Seher’, bäru*. Dann müßte man annehmen, daß hinter der
Legende eine Tatsache steht derart, daß wirklich einmal anläßlich einer Seuche
ein 'Seher’ östlicher Provenienz mit einem Ersatzopfer öffentlichen Erfolg davon-
trug. Kult und Heiligtum der Artemis von Munichia, mit dem Monat Munichion
auch im attischen Kalender verankert, kann freilich gewiß nicht als ganzes zum
orientalischen Import gemacht werden. Überdies bleibt 'Baros’ doch recht un-
sicher bezeugt; die Menandertexte, unser ältestes Zeugnis, von dem die Lexika
azsgehen, haben eindeutig 'Embaros’. Doch partielle Neuerungen sind auch in
etablierten Kulten möglich, ja zu erwarten. Auch wenn der genaue Traditions-
weg nicht zu sichern ist, verdient die ostwestliche Parallele festgehalten zu werden.
6 Gell. 5, 12, 12.
7 Ael. nat. an. 12, 34, Burkert (1972a) 204.
8 AHw 109f.
Walter Burkert
zu Boden, berührt die Kehle des Kranken mit einem hölzernen Messer und
durchschneidet mit einem veritablen Messer die Kehle der Ziege. Dann aber
wird die geschlachtete Ziege mit Spezereien ausgestopft, mit einem Gewand be-
kleidet, mit Schuhen versehen, ihre Augen werden geschmückt, die Kopfbinde
des Kranken wird dem Tier umgelegt; sie wird „wie ein toter Mensch“ betreut,
während der Kranke aus dem Hause geht. Der Beschwörer erhebt vor dem Ka-
daver die Totenklage, bringt Totengaben, libiert mit Wasser, Bier, Röstkom,
Milch, Honig, Rahm und Öl, begräbt das Tier unter Totenopfern für die Ziege
und den 'Totengeist der Familie’. So ist der Kranke befreit.
Die Unterschiede beider Rituale sind nicht zu übersehen; insbesondere wird
in Munichia ein Opfer am Altar beschrieben, während im Osten ein Sterben im
häuslichen Bett durchgespielt wird. Die Ähnlichkeit der Praxis, indem hier wie
dort eine Ziege in menschlichen Kleidern zum Ersatzopfer gewählt wird, ist
trotzdem frappant; um Heilung von Krankheit geht es auch in der Legende von
Munichia. Im übrigen wird von hier as vorstellbar, was gemeint ist, wenn Gellius
für den römischen Veiovis-Kult bezeugt, dort werde eine Ziege ritu humano ge-
opfert6. Beim Opfer für Dionysos Anthroporraistes auf Tenedos, wo Beiname und
Legende wiederum auf Menschenopfer weisen, wird das geopferte Kalb mit
Schuhen versehen7 8.
An Parallelen also fehlt es nicht. Unmittelbaren Kontakt könnte die sprachliche
Entlehnung beweisen, doch bleibt es abermals bei einem Wielleicht’. Der Name
Embaros - mit langem ä - klingt ungriechisch, jedenfalls unattisch. Nun nennt
der Attizist Pausanias und danach auch andere Lexika als Variante des Namens
'Baros’. Dies klingt noch exotischer, entspricht nun aber sehr genau dem akkadi-
schen Wort für den 'Seher’, bäru*. Dann müßte man annehmen, daß hinter der
Legende eine Tatsache steht derart, daß wirklich einmal anläßlich einer Seuche
ein 'Seher’ östlicher Provenienz mit einem Ersatzopfer öffentlichen Erfolg davon-
trug. Kult und Heiligtum der Artemis von Munichia, mit dem Monat Munichion
auch im attischen Kalender verankert, kann freilich gewiß nicht als ganzes zum
orientalischen Import gemacht werden. Überdies bleibt 'Baros’ doch recht un-
sicher bezeugt; die Menandertexte, unser ältestes Zeugnis, von dem die Lexika
azsgehen, haben eindeutig 'Embaros’. Doch partielle Neuerungen sind auch in
etablierten Kulten möglich, ja zu erwarten. Auch wenn der genaue Traditions-
weg nicht zu sichern ist, verdient die ostwestliche Parallele festgehalten zu werden.
6 Gell. 5, 12, 12.
7 Ael. nat. an. 12, 34, Burkert (1972a) 204.
8 AHw 109f.