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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0096
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Walter Burkert

misaduqas; verschiedene altbabylonische Exemplare sind in Fragmenten erhalten;
aber auch die Bibliothek Assurbanipals enthielt noch mehrere leicht voneinander
differierende Ausgaben; ein Bruchstück einer weiteren Rezension fand sich in
Ugarit. Es handelt sich also um einen mehr als 1000 Jahre lang verbreiteten
und beliebten Text, einen Text von erstaunlich origineller Konzeption: „Als die
Götter Menschen waren“ und es noch keine Menschen gab, mußten die Götter
selbst alle Arbeit leisten; dies führt zu einer Rebellion der jüngeren Götter gegen
Enlil, den obersten der Götter; zur Abhilfe schafft Enki zusammen mit der Mutter-
göttin als Roboter die Menschen, die nun die Last der Arbeit zu tragen haben.
Doch alsbald, nach kaum 1200 Jahren, nehmen diese Kreaturen überhand und
werden lästig, und die Götter versuchen, sich ihrer wieder zu entledigen. Drei
Versuche unternehmen sie, sie schicken - offenbar im stereotypen Abstand von
je 1200 Jahren - erst eine Pest, dann eine Hungersnot, zuletzt die Sintflut. Doch
der listige Gott der Tiefe, Enki, im Bund mit dem 'an Weisheit überragenden’
Atrahasis vereitelt diese Anschläge, er spielt die Götter gegeneinander aus und
läßt schließlich die Arche bauen. Der Schlußabschnitt ist, wie man jetzt sieht,
die Vorlage der berühmten Tafel XI des Gilgamesepos, der seit langem bekannten
Sintflutgeschichte3, die auch aufs 1. Buch Moses gewirkt hat. Weit entfernt von
alttestamentlicher Frömmigkeit jedoch ist 'Atrahasis’ von einem merkwürdig hu-
manen, wenn nicht gar zynischen Optimismus geprägt: ob mit, ob gegen die
Götter, dieses Menschengeschlecht mit all seiner Plackerei ist unverwüstlich.
„Wie hat der Mensch in der Vernichtung überlebt?“ (III vi, 10) - kein Zweifel
jedenfalls: er hat überlebt.
Gleich am Anfang des 'Atrahasis’-Textes wird das babylonische Pantheon sozu-
sagen systematisch eingeführt: „Anu, ihr Vater, war König, ihr Ratgeber Enlil der
Held, ihr Minister Ninurta, ihr Deichgraf Enki“. Auch diese Verse hat das Gilga-
mes-Epos kopiert, nicht aber die folgenden Zeilen: „Sie faßten die Losflasche an
ihrem Hals, warfen das Los; die Götter teilten: Anu ging nach oben in seinen
Himmel“, ein zweiter Gott - hier ist eine Textlücke - nahm „die Erde...; und die
Riegel, die Falle des Meeres, waren dem ... Enki hingelegt“4. In die Lücke ist
sicher Enlil, der aktivste der Götter, einzusetzen, so daß die übliche Dreiheit von
Anu, Enlil, Enki, Himmelsgott, Sturmgott, Wassergott zustandekommt. Auf die
grundlegende Dreiteilung des Kosmos, der den drei großen Göttern unterstellt
ist, kommt der Atrahasis-Text im folgenden wiederholt zurück, besonders als
anläßlich der Hungersnot Enlil eine totale Blockade der Menschenwelt durchzu-
setzen unternimmt5. Eine abweichende Version nennt dabei für den Himmel

3 Lambert-Millard (1969) 11-13.
4 Atrahasis I 11-17, Text und Übersetzung nach v. Soden ZA 68 (1978) 55. Atrahasis I
7-10," p. 42f. = Gilgames XI 15-8.
5 II v 16-19, 30-3', p. 80-83; Tafel 'X’ rev. I 4-7; II 2, 5, p. 116-9; vgl. Kommentar
von Lambert-Millard p. 166.
 
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