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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0098
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Walter Burkert

titelt hat. Seine Sonderstellung ist in der Homerforschung oft hervorgehoben
worden9. Zuletzt hat Albrecht Dihle die sprachlichen Besonderheiten hervorge-
hoben; er fand so viele Abweichungen vom normalen, traditionellen Formelge-
brauch, daß er zum Schluß kam, dieser Teil der Ilias könne nicht mehr der
Phase der mündlichen Tradition angehören, sondern setze schriftliche Komposi-
tion voraus. Nicht alle werden ihm in diesem Schluß folgen; doch daß hier ein
auch sprachlich ungewöhnlicher, eigenwilliger, sozusagen 'moderner’ Text vorliegt,
ist anzuerkennen. Willy Theiler hat den eingängigen Namen 'Berückungsdichter’
geprägt.
Vor allem ist es eine inhaltliche Besonderheit, die bereits Platon und vielleicht
schon vor ihm 'Vorsokratikern’ aufgefallen ist10: Hier und nur hier innerhalb
der homerischen Dichtung taucht unversehens kosmogonische Thematik auf.
Hera, in ihrer Trugrede, will zu Okeanos und Tethys gehen, zu dem 'Ursprung
der Götter’ und zur 'Mutter’; einmal heißt Okeanos dann auch 'Ursprung für
alle(s)’11. Okeanos und Tethys enthalten sich jedoch 'seit langem’ des Beilagers,
getrennt vom 'Streit’, νείκεα; dies klingt wie eine Vorwegnahme der empedo-
kleischen Neikos-Kosmogonie. Die γένεσις der Götter hat aufgehört. Gewiß,
alles dies ist nur eine Trugrede. Doch der dann folgende Höhepunkt der Schil-
derung, die Vereinigung des Götterpaars in der goldenen Wolke auf dem Ida-
Gipfel, zeigt wiederum die Gottheiten in einer naturhaften, kosmischen Dimen-
sion, die dem homerischen Anthropomorphismus sonst nicht eigen ist. Die kosmi-
sche Dreiteilung in der Rede Poseidons ist das dritte Motiv, das in diese Dimen-
sionen vorstößt.
Aristoteles fand, Platon folgend, in der Okeanos-Kosmogonie die Anregung für
den ersten 'Naturphilosophen’, Thales. Die moderne Forschung hat über Thales
zurück auf die Wasserkosmogonien orientalischer Provenienz hingewiesen12, faß-
9 Bereits Gruppe (1887) 612-8; von einer „fremden Genealogie“ sprach Wilamowitz, Der
Glaube der Hellenen I (1931) 341; 'Berückungsdichter’: W. Theiler, Untersuchungen zur
antiken Literatur (1970) 24-6. - A. Dihle, Homer-Probleme (1970) 83-92. Zur Bedeutung
der Szene für unsere Ilias H. Erbse, Zeus und Here auf dem Idagebirge, A&A 16
(1970) 93-112.
10 Plat. Krat. 402 ab; Tht. 152e; 180cd; Arist. Met. 983b27; Plut. Is. 364cd verwies auf
Ägypten.
11 Ωκεανόν τε θεών γένεσιν και μητέρα Τηθύν II. 14, 201 = 302; Ώκεανοΰ, ος περ γένεσις
πάντεσσι τέτυκται 246. Okeanos und Tethys auch Hes. Theog. 133/6; beide mit In-
schrift (ΘΕΘΥΣ) auf dem Dinos des Sophilos, Brit. Mus. 1971. 11-1.1, A. Birchall,
Brit. Mus. Quart. 36 (1971/2) T. 37; G. Bakir, Sophilos (1981) 64 Abb. 3.
12 U. Hölscher, Anaximander und der Anfang der Philosophie, Hermes 81 (1953) 257-77,
385-418, rev. in: Anfängliches Fragen (1968) 9-89, bes. 40-3; G. S. Kirk, J. E. Raven,
Presocratic Philosophers (1957) 15-9; W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philo-
sophy I (1962) 58-61; Walcot (1966) 34; West (1966) 204. Die Verbindung von Enuma
elis und Hesiod wurde zuerst 1941 von F. Μ. Cornford gezogen, A Ritual Basis for
Hesiod’s Theogony, in: The Unwritten Philosophy (1950) 95-116.
 
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