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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0099
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Die orientalisierende Epoche

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bar bei Ägyptern, Phoinikem und nicht zuletzt im babylonischen Weltschöpfungs-
epos Enuma elis. Dieses beginnt damit, daß, „als droben“ der Himmel noch
nicht vorhanden war und auch nicht unten die Erde, Apsu da war, der Süßwasser-
Ozean, „der erste, der Erzeuger“, und mit ihm Tiamat, das Salzmeer, „die Ge-
bärerin von allen“13. Beide „vermischten ihre Wasser“. Damit hatte es dann später
sein Ende, als Apsu eingeschläfert und Tiamat schließlich erschlagen wurde in
einem sehr dramatischen 'Streit’. Damals wurde der Kosmos so befestigt, wie
er jetzt ist.
Die beiläufigen Improvisationen Heras stimmen also, wie mehrfach bemerkt
wurde, mit dem Anfang von Enuma elis in frappanter Weise überein. Apsu und
Tiamat als UreItempaar scheinen Okeanos und Tethys voll zu entsprechen. Dazu
kommt, daß Tethys keineswegs eine lebendige Figur der griechischen Mythologie
ist. Im Gegensatz zur Meeresgöttin Thetis hat sie keinen Kult, und niemand
weiß weiteres von ihr zu erzählen; sie lebt offenbar nur aus diesem Homerpassus;
wie sie zur Ehrenstellung der Urmutter kam, bleibt im Dunkel. Und nun kommt
doch das Kling-Klang der Namen ins Spiel. 'Ti-amat’ gibt die übliche Schreib-
weise des Enuma elis wieder; das dahinter stehende akkadische Wort aber ist
tiamtu oder tämtu, 'das Meer’14; der Name kann auch so geschrieben werden,
doch im ‘Enuma elis’ findet sich überdies auch die Schreibweise tawatu/täwtu5.
Geht man aber von dieser Namensform aus, so ist *Ταϋύς die geradezu perfekte
Transskription. Der Purist könnte sich an der verschiedenen Wiedergabe der
Dentale stören - doch ΘΕΘΥΣ schreibt Sophilos auf seinem Vasenbild, was nor-
malgriechisch zu Τηθύς normalisiert werden mußte. Genau bekannt wurde das
Enuma elis dem Aristotelesschüler Eudemos; er aber transskribierte Tiamat als
Ταυϋέ, wobei wiederum Tawtu zugrundeliegen dürfte16. Daß ein entlehntes α
im Ionischen als η erscheint, hat in Κυβήβη/Kubaba, Βήλος/Baal, Μήδοι/Mada
seine wünschenswerten Parallelen17. Damit ist der Beweis geschlossen, daß hier,
gleichsam mitten in der Ilias, die Einwirkung zweier akkadischer Klassiker zu
konstatieren ist. Wichtig ist festzuhalten, daß von bronzezeitlicher Entlehnung
nicht die Rede sein kann; abgesehen davon, daß 400-jährige mündliche Über-
lieferung stärkere Umschmelzung erwarten ließe, ist das Enuma elis gar nicht so
13 Enuma elis I HL, bes. 3-5.
14 AHw 1353f.
15 ta-ä-wa-ti (Genetiv) IV 65, p. 23 Lambert-Parker; ti-a-wa-ti II 81, p. 12 Lambert-Parker;
ta-ma-tu I 33, p. 2 Lambert-Parker. Das Zeichen wa kann auch aw gelesen werden. Zum
Wechsel m/w W. v. Soden, Grundriß der akkadischen Grammatik (1952) § 21d; 31a. Die
Gleichung Tiamat-Tethys auch bei Szemerenyi (1974) 150; allgemeiner Hinweis auf Enuma
elis und Atrahasis von II. 14/15 aus auch bei Duchemin (1980c) 851; 858f.; 864; 868.
16 Eudemos Fr. 150 Wehrli = Damask. Prine. I 322, If. Zur Wiedergabe von akk. t durch
ü vgl. auch E. Schwyzer, Griech. Grammatik (1939) 154.
17 R. Gusmani in: Studies in Greek, Italian and Indoeuropean Linguistics pres. to L. R. Pal-
mer (1976) 77-82 (gegen E. Laroche, Melanges P. Chantraine [1972] 83-91).
 
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