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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0103
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Die orientalisierende Epoche

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Dagegen nun eine Szene aus der Ilias4: Aphrodite ist, als sie Aineias schützen
will, von Diomedes verwundet worden, ihr Blut fließt. „Sie aber, außer sich,
ging weg und wurde schrecklich gepeinigt“; mit Hilfe von Iris und Ares ge-
langt sie zum Olympos. „Sie aber, die göttliche Aphrodite, fiel der Dione in den
Schoß, ihrer Mutter, und sie nahm in die Arme ihre Tochter, streichelte sie mit
der Hand“, fragt: „Wer hat dir solches angetan, liebes Kind?“, sie antwortet:
„Verwundet hat mich des Tydeus Sohn, der hochgemute Diomedes.“ Die Mutter
tröstet sie mit mythischen Exempeln; Athena macht eine spitze Bemerkung,
Zeus der Vater aber lächelt, er ruft die Tochter zu sich heran und sagt: „Nicht
dir, mein Kind, sind gegeben des Krieges Werke! Sondern du gehe den lieblichen
Werken der Hochzeit nach ...“; mit anderen Worten: ein wenig bist du doch
selber schuld.
Die beiden Szenen sind im Aufbau, in der Erzählweise, im 'Ethos’ erstaunlich
parallel5. Eine Göttin, verletzt durch einen Menschen, fährt auf zum Himmel,
um sich bei Vater und Mutter zu beschweren, und erntet milden Vorwurf von
Seiten des Vaters.
Gewiß, im Grund ist dies eine Allerwelts-Situation aus dem Kinderbereich.
Die Szene wiederholt sich, leicht variiert, beim Götterkampf der Ilias6: Artemis,
von Hera geprügelt, setzt sich weinend Vater Zeus auf die Knie, der zieht sie an sich
und fragt lachend: Wer hat dir solches angetan? Und sie erzählt: Deine Frau hat
mich gehauen. Die Szene der Diomedie ist insofern schlichter, als dort die Eltern
gemeinsam als Zufluchtsort auftreten, wobei der Vater die Rolle leicht distanzier-
ter Überlegenheit spielt. Eben dies entspricht der Gilgames-Szene. Vor allem aber:
Aphrodite als Liebesgöttin ist ja eben der Istar äquivalent; Aineias ist ihr Sohn,
weil sie sich einem sterblichen Mann angeboten hat, dem der Umgang mit der
Göttin übel bekam. Möglicherweise ist der Name Aphrodite selbst ein griechisch
überformtes Astorit, also letztlich mit Istar identisch7. Dazu kommt etwas besonders
Merkwürdiges: In der Szene der Diomedie, und nur hier, hat Aphrodite eine
Mutter, Dione, die offenbar als Frau des Zeus zusammen mit dem Gatten im
Olympos lebt. Der Kontrast zur Schaumgeburt der Aphrodite bei Hesiod nach
der Kastration des Uranos ist seit je aufgefallen. Man hat für Dione in der
Tradition von Dodona Anknüpfungspunkte gefunden, hat auch an die mykenische

4 II. 5, 330-431. Übersetzung nach Schadewaldt.
5 Festgestellt von Gresseth (1975) 14, der auch darauf hinweist, daß Istars anschließende
Drohung, sie werde die Toten löslassen, wenn Anu ihren Wunsch nicht erfüllt (6, 96-100),
in der Drohung des Helios Od. 12, 382f. ein Gegenstück hat.
6 II. 21, 505-13.
Vgl. Burkert (1977) 238-40; zu Anchises und Aphrodite-Hymnos sei auf L. H. Lentz,
Der Homerische Aphroditehymnus und die Aristie des Aineias in der Ilias (1975) bes.
104-7, 144-52 verwiesen.
 
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