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Walter Burkert
gen, da breitete das Land sich aus, die Leute wurden viel. Das Land brüllte
wie ein Wildstier, von ihrem Lärmen gerieten die Götter in Unruhe. Enlil hörte
ihr Geschrei, er sprach zu den großen Göttern: schwer geworden ist das Geschrei
der Menschheit, von ihrem Lärmen bin ich des Schlafes beraubt...“2. Darum
also die geplanten Katastrophen, Seuche, Dürre, und Sintflut.
Hier drängt sich die Parallele zu einem Stück des griechischen Epos auf, einem
durchaus prominenten Text, geht es doch um nicht weniger als die letzte Ursache
des Troianischen Kriegs. Es handelt sich um den Anfang der 'Kypria’, jenes Epos,
das den Beginn des Troischen Kyklos markierte. Herodot bereits bezweifelte die
Autorschaft Homers, und kraft der literarischen Verdammung ging der Text als
ganzer verloren; doch eben der Anfang ist als Fragment, in korrupter Textform,
erhalten als Erklärung für den 'Ratschluß des Zeus’, den die Ilias gleich zu An-
fang hervorhebt (1, 5). Im Stil eines Märchenanfangs setzen die Kyprien ein:
„Es war eine Zeit, als unendlich viele Völker der Menschen über die Erde sich hin-
und herbewegten ... (Lücke; sie bedrängten?) die Breite der tiefbrüstigen Erde. Zeus
sah es und empfand Mitleid, und in seinem dichten Denken beschloß er, die all-
nährende Erde von Menschen zu erleichtern, indem er den großen Streit des Ilios-
Kriegs entfachte.“3
Daneben steht in den gleichen Scholien eine Prosaerzählung4: „Die Erde, be-
schwert von der Überfülle der Menschen, zumal es keinerlei Frömmigkeit bei
den Menschen gab, bat Zeus, von der Last erleichtert zu werden. Zeus bewirkte
zuerst gleich den Thebanischen Krieg, durch den er sehr viele vernichtete;
danach wiederum beriet er sich mit Momos - das ist der 'Ratschluß des Zeus’,
von dem Homer spricht -: Er hätte mit Blitzen oder Sintfluten alle verderben
können; doch daran hinderte ihn Momos, schlug ihm vielmehr vor, Thetis mit
einem Menschen zu verheiraten und eine schöne Tochter zu zeugen...“ So
kommen Achilleus und Helena und durch sie der Troianische Krieg zustande.
Beide Texte lassen sich nicht einfach zusammensetzen. In den zitierten Ver-
sen reagiert Zeus auf den Zustand der Erde direkt mit seinem Beschluß, und dieser
zielt gleich auf den Troischen Krieg; daß Zeus die Einzelheiten dann mit Themis
besprach, wie die Inhaltsangabe der Kyprien bei Proklos angibt5, läßt sich an-
schließen; in der Prosafassung aber ist die Erde nicht stummes Objekt des Mit-
leids, sondern sprechender Partner, der Beschluß bezieht den Thebanischen Krieg
mit ein, und dann kommt die merkwürdige Beratung mit Momos. Es handelt
sich also um zwei konkurrierende Fassungen; als dritte tritt ihnen ein Passus
2 Atrahasis I 352-9 = II 1-8.
3 Kypria Fr. 1 Allen = Schol. AD A 5.
4 Schol. AD A 5, dazu Schol. Eur. Or. 1641; E. Bethe, Homer II (19292) 154f., disku-
tiert 228. - Gilgames XI 182-5: Götter diskutieren über Sintflut, Raubtiere, Hunger, Pest
als Methoden, die Menschheit zu reduzieren.
5 Chrestom. p. 102, 13 Allen.
Walter Burkert
gen, da breitete das Land sich aus, die Leute wurden viel. Das Land brüllte
wie ein Wildstier, von ihrem Lärmen gerieten die Götter in Unruhe. Enlil hörte
ihr Geschrei, er sprach zu den großen Göttern: schwer geworden ist das Geschrei
der Menschheit, von ihrem Lärmen bin ich des Schlafes beraubt...“2. Darum
also die geplanten Katastrophen, Seuche, Dürre, und Sintflut.
Hier drängt sich die Parallele zu einem Stück des griechischen Epos auf, einem
durchaus prominenten Text, geht es doch um nicht weniger als die letzte Ursache
des Troianischen Kriegs. Es handelt sich um den Anfang der 'Kypria’, jenes Epos,
das den Beginn des Troischen Kyklos markierte. Herodot bereits bezweifelte die
Autorschaft Homers, und kraft der literarischen Verdammung ging der Text als
ganzer verloren; doch eben der Anfang ist als Fragment, in korrupter Textform,
erhalten als Erklärung für den 'Ratschluß des Zeus’, den die Ilias gleich zu An-
fang hervorhebt (1, 5). Im Stil eines Märchenanfangs setzen die Kyprien ein:
„Es war eine Zeit, als unendlich viele Völker der Menschen über die Erde sich hin-
und herbewegten ... (Lücke; sie bedrängten?) die Breite der tiefbrüstigen Erde. Zeus
sah es und empfand Mitleid, und in seinem dichten Denken beschloß er, die all-
nährende Erde von Menschen zu erleichtern, indem er den großen Streit des Ilios-
Kriegs entfachte.“3
Daneben steht in den gleichen Scholien eine Prosaerzählung4: „Die Erde, be-
schwert von der Überfülle der Menschen, zumal es keinerlei Frömmigkeit bei
den Menschen gab, bat Zeus, von der Last erleichtert zu werden. Zeus bewirkte
zuerst gleich den Thebanischen Krieg, durch den er sehr viele vernichtete;
danach wiederum beriet er sich mit Momos - das ist der 'Ratschluß des Zeus’,
von dem Homer spricht -: Er hätte mit Blitzen oder Sintfluten alle verderben
können; doch daran hinderte ihn Momos, schlug ihm vielmehr vor, Thetis mit
einem Menschen zu verheiraten und eine schöne Tochter zu zeugen...“ So
kommen Achilleus und Helena und durch sie der Troianische Krieg zustande.
Beide Texte lassen sich nicht einfach zusammensetzen. In den zitierten Ver-
sen reagiert Zeus auf den Zustand der Erde direkt mit seinem Beschluß, und dieser
zielt gleich auf den Troischen Krieg; daß Zeus die Einzelheiten dann mit Themis
besprach, wie die Inhaltsangabe der Kyprien bei Proklos angibt5, läßt sich an-
schließen; in der Prosafassung aber ist die Erde nicht stummes Objekt des Mit-
leids, sondern sprechender Partner, der Beschluß bezieht den Thebanischen Krieg
mit ein, und dann kommt die merkwürdige Beratung mit Momos. Es handelt
sich also um zwei konkurrierende Fassungen; als dritte tritt ihnen ein Passus
2 Atrahasis I 352-9 = II 1-8.
3 Kypria Fr. 1 Allen = Schol. AD A 5.
4 Schol. AD A 5, dazu Schol. Eur. Or. 1641; E. Bethe, Homer II (19292) 154f., disku-
tiert 228. - Gilgames XI 182-5: Götter diskutieren über Sintflut, Raubtiere, Hunger, Pest
als Methoden, die Menschheit zu reduzieren.
5 Chrestom. p. 102, 13 Allen.