Metadaten

Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0108
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
98

Walter Burkert

wenn man den späteren Notizen über Stasinos von Cypem als Verfasser des
Gedichts mit sehr viel Skepsis begegnet. Ein Indiz dafür, die 'Kypria’ spätestens
um 650 anzusetzen, gibt die früheste Darstellung des Paris-Urteils auf der Chigi-
Kanne, auch abgesehen von dem umstrittenen Hinweis auf eben dieses im 24.
Buch der Ilias11. Dann aber führt dies eben in jene Epoche Cyperns, als seine
Könige formell noch unter assyrischer Oberhoheit standen und doch in erstaun-
licher Weise Macht und Pracht entfalten konnten; merkwürdig mischen sich dort
orientalischer Luxus und 'homerischer’ Lebensstil: die Bestattungen sind auf-
wendig wie bei Patroklos, orientalisierende Prunkmöbel finden sich im Grab,
Opfer von Wagen und Pferden vor dem Eingang; ein veritables 'Schwert mit
Silbernägeln’, ξίφος άργυρόηλον, evoziert besonders die homerische Welt12. Es
bleibt freilich dunkel, warum gerade das 'homerische’ Thema vom Krieg um
Troia in Cypem beachtet und gestaltet wurde; daß dies geschah, bezeugt das
Faktum der Κύπρια έπη. Klar und unübersehbar aber waren die Beziehungen zu
Syrien und Mesopotamien, standen doch die Gedenkstelen der assyrischen Könige
in Cypems Städten.
Anhangsweise ist von 'Atrahasis’ aus noch auf einen weiteren möglichen Reflex
in unserer Ilias hinzuweisen: Eine der dramatischsten Episoden gleich am Anfang
des babylonischen Gedichts ist der Streik der niederen Götter gegen Enlil, ihren
Boß. Sie sind der mühevollen Arbeit an den Deichen überdrüssig, sie verbrennen
ihre Werkzeuge und ziehen zur Nachtzeit vor das 'Haus’ - den Tempel - des
Enlil, um Revolution zu machen. Enlil gerät in verständliche Erregung, er sendet
rasch einen Boten zu Anu im Himmel, zu Enki in der Wassertiefe; beide kom-
men denn auch, sie beraten, das Ergebnis ist die Schaffung der menschlichen
Roboter13. Im ersten Iliasbuch aber erzählt Thetis eine sonst nie erwähnte Ge-
schichte, „wie den Zeus die anderen Olympischen Götter binden wollten“ - ein
Grund für die Palastrevolution wird nicht genannt -. Da handelte Thetis als Bote
und holte aus der Meerestiefe den gewaltigen Briareos-Aigaion, der sich Zeus
zur Seite setzte und mit seinem kampfesfrohen Ausdruck die anderen Götter
verscheuchte14. Die Übereinstimmung mit 'Atrahasis’ ist nicht sehr detailliert;
Geschichten um Streit und Kampf im Götterbereich sind auch sonst nicht selten.
Wenn aber Beziehungen zwischen diesen Texten sowieso festgestellt sind, dann
ist eine Anregung für den griechischen Sänger aus der östlichen Dichtung doch
11 Schefold (1964) T. 29b, datiert 640/30; vgl. I. Raab, Zu den Darstellungen des Paris-
urteils in der griechischen Kunst (1972). - II. 24, 29f.; K. Reinhardt, Das Parisurteil
(1938).
12 V. Karageorghis, Salamis. Recent Discoveries in Cyprus (1969), Kap. III: The Age of
Exuberance (ξίφος άργυρόηλον 70, T. 25); -*11, 19; III 2, 12.
13 Atrahasis I 27-102, p. 44-9.
14 II. 1, 396-406; vgl. W. Kulimann, Das Wirken der Götter in der Ilias (1956) 14-7;
Duchemin (1980c) 864. Vgl. auch B. K. Braswell, Mythological Invention in the Iliad,
CQ 21 (1971) 18f.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften