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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0123
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Die orientalisierende Epoche

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ist damit noch nicht erklärt. Aber eine weitere denkwürdige Verbindung ist ge-
rade bei Archilochos aufgetaucht: das neue Archilochos-Gedicht des Kölner
Papyrus verwendet das Sprichwort von der übereiligen Hündin, die darum blinde
Junge gebiert, σπεύδουσα κύων τυφλά τίκτει12. Eben dieses Sprichwort aber taucht
gut 1000 Jahre vor Archilochos in einem Königsbrief aus Mari auf13. Dies ist
volkstümliche Tradition, gewiß, zugleich aber auch eine Weisheits-Tradition, die
gerade in Form des Tier-Exempels die Sprach- und Kulturgrenzen übergreift.
Im Fall der Adlerfabel aus 'Etana’ ist daneben eine eigentlich literarische Be-
ziehung keineswegs ausgeschlossen. Archilochos kennt die phönikisch-aramäischen
Lederrollen14.
Volkstümlich und literarisch zugleich erscheint auch ein sehr viel berühmteres
Motiv, das in der akkadischen Literatur und dann im archaischen Griechenland
nachweisbar ist: Die Erzählung vom Kraut der Veijüngung, das die Schlange
dem Menschen weggefressen hat. Sie steht im Gilgames-Epos als dramatischer
Abschluß der Fahrt zu Utnapistim; die Suche, dem Tod zu entrinnen, ist ja
das Zentralmotiv in Gilgames’ Wanderschaft. Utnapistim gibt Gilgames die An-
weisung, aus der Tiefe des Meeres jene Pflanze zu holen, die verjüngt; Gilgames
macht sich mit dem köstlichen Besitz auf den Heimweg. Als er aber an einer
Quelle im kühlen Wasser badet, wird eine Schlange vom Duft der Pflanze ange-
lockt und verschlingt sie: so wirft sie ihre alte Haut ab, das γήρας, 'Alter’ wie die
Griechen sagen; dem Menschen Gilgames bleibt nur die Klage15. In der griechi-
schen Version hat Zeus den Menschen, weil sie Prometheus angezeigt haben,
zur Belohnung eine Droge gegen das Alter überlassen. Man lädt sie einem Esel
auf. Der Esel kommt an eine Quelle, will trinken; eine Schlange wehrt ihm den
Zugang, bis der Esel ihr schenkt, was er auf dem Rücken trägt. So kann sich
die Schlange verjüngen, die Menschen gehen leer aus. Die Geschichte stand
erstmalig, so weit wir wissen, bei Ibykos16. Sie ist also noch in archaischer Zeit
den Griechen bekannt geworden.
Man wird hier an mündliche Erzähltradition denken. Der Grundgedanke der
Geschichte ist unmittelbar einleuchtend und leicht zu merken, die Ausgestaltung
4. Jh. dargestellt; vgl. H. Sichtermann, Ganymed, Mythus und Gestalt in der antiken
Kunst (1952); G. Schwarz, Iris und Ganymed auf attischen Vasenbildern, Österr. Jahresh.
51 (1976) 7, 1-10; A. Kaempf-Dimitriadou AK 22 (1979) 49-54.
12 Archilochos Fr. 196a (Μ. L. West, Delectus ex lambis et Elegis Graecis 1980) = ZPE 14
(1974) 97-112; σπεύδουσα κύων τυφλά τίκτει App. Prov. 1, 12 (Paroem. Gr. I 381),
Makar. 5, 32 (Paroem. Gr. II 181), Apost. 10, 23 (Paroem. Gr. II 491), SchoL Aristoph.
Pax 1078; Aesop 223 Perry.
13 W. H. Moran HSCP 82 (1978) 17-19.
14 - I 3, 25.
15 Gilgames XI 266-89. Die Bezeichnung der Schlange (serru 287) als 'Erd-Löwe’ (nesu sa
qaqqari) 296 erinnert O. Szemerenyi Gnomon 53 (1981) 116 an griechisch χαμαιλέων.
16 Ibykos 342 PMG zusammen mit Soph. Fr. 362 Radt und anderen Quellenangaben bei
Ael. n. an. 6, 51.
 
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