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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0125
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Die orientalisierende Epoche

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Lamastu wird zur Gorgo1. Mythische Motive können aus Bildern erwachsen, wie
der Kampf mit dem Löwen, der Kampf mit der siebenköpfigen Schlange bald als
Abenteuer des Herakles erzählt werden2; der Kampf mit dem Monster wird zur
Tat des Perseus von Mykene3; auch die Darstellung vom Tode Agamemnons
schließt an Humbaba-Bilder an4. So formt das Bezeichnungssystem der eigenen
Heroenmythologie das vorgegebene Material, das Mißverständnis wird produktiv
und läßt sich doch leiten von den übernommenen Schemata.
Daß Mythos und Magie in inniger Weise sich durchdringen können, ist be-
kannt und mehrfach gründlich untersucht5. Magische Beschwörungen verwenden
gern eine mythische Geschichte als exemplarischen Präzedenzfall, der das Ergebnis
vorzeichnet und damit herbeizwingt. Dies gilt vom Veda bis zu den Merseburger
Zaubersprüchen; doch nicht minder klare Beispiele liefert das 'babylonische’
Material. Die assyrische Version des Adapa-Mythos wird am Ende zur Beschwö-
rung gegen die vom 'Südwind’ verursachte Krankheit, der Erra-Text wird auf
magische Amulette geschrieben6. Auch die Menschenschöpfung aus 'Atrahasis’ ist
als magischer Text verwendet worden, auch die Überwindung der Dürre im
gleichen Text wird Regenzauber7. Ein anderer Beschwörungstext schildert, wie
der Mondgott Sin mit einer Jungfrau sich paart, sie als Kuh, er als Stier; der
Gott zeugt Kinder und greift dann helfend ein, um die Geburt zu erleichtern:
auch dies ein durchsichtiger Geburtszauber; man hat den Text aber auch zu-
sammengerückt mit dem Mythos von Zeus und Io, der Kuh, und der Geburt
des Epaphos durch die helfende 'Berührung’8. Es gibt aber auch kosmogonische
Texte, die gegen Zahn- und Kopfweh verwendet werden9.

1 - II 9.
2 Burkert (1979) 80-3; -1 2, 23.
3 - II 9, 22.
4 Vgl. das Tonrelief aus Gortyn, Schefold (1964) T. 33, mit Siegelbildem wie Ward (1910)
211 nr. 642: Opfer en face und zwei Angreifer von rechts und links, deren einer ein
Beil schwingt und ein langes Gewand trägt (vgl. dazu auch C. Hopkins AJA 38 [1934]
352 fig. 6).
5 G. van der Leeuw, Die sogenannte epische Einleitung der Zauberformeln, Zeitschrift
für Religionspsychologie 6 (1933) 161-80; Μ. Eliade, Kosmogonische Mythen und magi-
sche Heilungen, Paideuma 6 (1954/8) 194-204.
6 Adapa: ANET 102f.; zu Erra - III 4, 16.
7 Der Passus über die Menschenschöpfung, Atrahasis I 190-217, war ANET 99 in seiner
rituellen Funktion, nicht aber als Teil des Epos erkannt und vorgestellt (Berichtigung:
ANET 513); Bezugnahme darauf in einem Beschwörungstext: J. van Dijk, Une incanta-
tion accompagnant la naissance de l’homme, Orientalia 42 (1973) 505. - Regenzauber:
Lambert-Millard, Atrahasis p. 27f.
8 'Der Mondgott und die Kuh Amat-Sin’, HKL III 63; W. G. Lambert Iraq 31 (1969) 3 lf.;
Labat (1970) 285f.; Duchemin (1980a/b).
9 The Worm and the Toothache’ ANET lOOf. - B. Landsberger, Th. Jacobsen, An Old
Babylonian Charm against merhu, JNES 14 (1955) 14-21.
 
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