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Eberhard Jüngel
Daß die Bevorzugung des Ausdrucks „Verstehen“ auch auf sogenannte Abhän-
gigkeiten vor allem von der Philosophie Martin Heideggers und Wilhelm Dil-
theys zurückzuführen ist, ist zwar nicht zu bestreiten, darf aber nicht den Blick
für Bultmanns genuin theologische Intention verstellen. Immerhin wird Dilthey
im ersten der Bände, die den Titel Glauben und Verstehen tragen, noch gar nicht
erwähnt. Der Band ist freilich nicht zufällig Martin Heidegger gewidmet2, der
Bultmann wohl auch zur Veröffentlichung seiner Aufsätze angeregt hatte3 * *.
Mit dem Begriff des Verstehens nimmt Bultmann einerseits die über-
lieferte Fragestellung auf, in der der Glaube als auf Wahrheit und inso-
fern als auf Erkenntnis bedachter menschlicher Akt verstanden ist.
Andererseits reduziert er mit dem Begriff des Verstehens die im Laufe
der Theologiegeschichte immer komplexer gewordene spannungs-
reiche Beziehung zwischen Glauben und Erkennen auf die für den
Glauben konstitutiven Zusammenhänge.
Daß der Glaube auf Wahrheit und insofern auch auf Erkenntnis bedacht ist,
gerade dabei aber zu dem sogenannten natürlichen Erkenntnisvermögen des
Menschen in eine überaus spannungsreiche Beziehung gerät, ist eine Grunder-
fahrung der christlichen Existenz. Die christliche Theologie hat deshalb schon
früh das Verhältnis von Glauben und Erkennen - unter wechselnden Namen -
als ein besonderes und besonders ponderables Problem thematisch gemacht.
Dazu war sie um so mehr veranlaßt, als auch die Philosophie bereits in ihrer vor-
christlichen Gestalt das - hier freilich im Horizont einer ganz anderen Fragestel-
lung interessierende - Verhältnis von Glauben und Wissen erörtert hatte. Die
Aufgabe des christlichen Glaubens, sich über seine eigene Wahrheit Rechen-
schaft abzulegen, nötigte also zugleich zu einer theologischen Bestimmung des
Verhältnisses von Glauben und Erkennen einerseits und zu einer Auseinander-
setzung mit dem philosophischen Verständnis von Glauben innerhalb der
Hierarchie der Gewißheitsgrade menschlicher Erkenntnis andererseits. War
die Problemlage von vornherein komplex, so wurde ihre Komplexität im Laufe
der Geschichte dadurch gewaltig gesteigert, daß fast alle neueren theologischen
und philosophischen Fragestellungen von Rang sich auf die in der Neuzeit dann
bevorzugt unter dem Titel „Glauben und Wissen“ verhandelte Problematik aus-
wirkten, wobei oft genug die neuen Einsichten nicht einfach die älteren ablö-
sten, sondern diese überlagerten und als überlagerte weiter gegenwärtig sein lie-
ßen. Kein Wunder, daß sich gerade hier neben besonders eindrücklichen Lei-
stungen theologischen Denkens eine Fülle von Scheinkonflikten und von
Scheinlösungen einstellte.
2 Die Widmung des 1933 erschienenen Bandes wurde anläßlich der zweiten Auflage
1954 ausdrücklich erneuert: „MARTIN HEIDEGGER bleibt dieses Buch gewidmet
in dankbarem Gedenken an die gemeinsame Zeit in Marburg“. - Glauben und Ver-
stehen. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, 81980, III.
3 M. Heidegger, Brief an R. Bultmann vom 2. April 1928 (bisher unveröffentlicht): „Sie
könnten eigentlich die Aufsätze der letzten Jahre sammeln zu einem Bändchen, das
sicher Absatz finden wird“.
Eberhard Jüngel
Daß die Bevorzugung des Ausdrucks „Verstehen“ auch auf sogenannte Abhän-
gigkeiten vor allem von der Philosophie Martin Heideggers und Wilhelm Dil-
theys zurückzuführen ist, ist zwar nicht zu bestreiten, darf aber nicht den Blick
für Bultmanns genuin theologische Intention verstellen. Immerhin wird Dilthey
im ersten der Bände, die den Titel Glauben und Verstehen tragen, noch gar nicht
erwähnt. Der Band ist freilich nicht zufällig Martin Heidegger gewidmet2, der
Bultmann wohl auch zur Veröffentlichung seiner Aufsätze angeregt hatte3 * *.
Mit dem Begriff des Verstehens nimmt Bultmann einerseits die über-
lieferte Fragestellung auf, in der der Glaube als auf Wahrheit und inso-
fern als auf Erkenntnis bedachter menschlicher Akt verstanden ist.
Andererseits reduziert er mit dem Begriff des Verstehens die im Laufe
der Theologiegeschichte immer komplexer gewordene spannungs-
reiche Beziehung zwischen Glauben und Erkennen auf die für den
Glauben konstitutiven Zusammenhänge.
Daß der Glaube auf Wahrheit und insofern auch auf Erkenntnis bedacht ist,
gerade dabei aber zu dem sogenannten natürlichen Erkenntnisvermögen des
Menschen in eine überaus spannungsreiche Beziehung gerät, ist eine Grunder-
fahrung der christlichen Existenz. Die christliche Theologie hat deshalb schon
früh das Verhältnis von Glauben und Erkennen - unter wechselnden Namen -
als ein besonderes und besonders ponderables Problem thematisch gemacht.
Dazu war sie um so mehr veranlaßt, als auch die Philosophie bereits in ihrer vor-
christlichen Gestalt das - hier freilich im Horizont einer ganz anderen Fragestel-
lung interessierende - Verhältnis von Glauben und Wissen erörtert hatte. Die
Aufgabe des christlichen Glaubens, sich über seine eigene Wahrheit Rechen-
schaft abzulegen, nötigte also zugleich zu einer theologischen Bestimmung des
Verhältnisses von Glauben und Erkennen einerseits und zu einer Auseinander-
setzung mit dem philosophischen Verständnis von Glauben innerhalb der
Hierarchie der Gewißheitsgrade menschlicher Erkenntnis andererseits. War
die Problemlage von vornherein komplex, so wurde ihre Komplexität im Laufe
der Geschichte dadurch gewaltig gesteigert, daß fast alle neueren theologischen
und philosophischen Fragestellungen von Rang sich auf die in der Neuzeit dann
bevorzugt unter dem Titel „Glauben und Wissen“ verhandelte Problematik aus-
wirkten, wobei oft genug die neuen Einsichten nicht einfach die älteren ablö-
sten, sondern diese überlagerten und als überlagerte weiter gegenwärtig sein lie-
ßen. Kein Wunder, daß sich gerade hier neben besonders eindrücklichen Lei-
stungen theologischen Denkens eine Fülle von Scheinkonflikten und von
Scheinlösungen einstellte.
2 Die Widmung des 1933 erschienenen Bandes wurde anläßlich der zweiten Auflage
1954 ausdrücklich erneuert: „MARTIN HEIDEGGER bleibt dieses Buch gewidmet
in dankbarem Gedenken an die gemeinsame Zeit in Marburg“. - Glauben und Ver-
stehen. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, 81980, III.
3 M. Heidegger, Brief an R. Bultmann vom 2. April 1928 (bisher unveröffentlicht): „Sie
könnten eigentlich die Aufsätze der letzten Jahre sammeln zu einem Bändchen, das
sicher Absatz finden wird“.