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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0062
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52

Eberhard Jüngel

Wahrheit?“183 Wir haben es also nach Bultmann im Zusammenhang
theologischer Erkenntnis sowohl mit dem Anspruch auf Wahrheit,
den alles wissenschaftliche Wissen für seine Sätze erhebt, als auch
mit einem zur menschlichen Existenz gehörenden Fragen nach der
Wahrheit im Sinne der Erschließung des eigenen Seins in der Welt
vor Gott zu tun.
3. Glaube als Verstehen der Wahrheit
Daß die Frage nach der Wahrheit nicht nur dem Wahrsein theologi-
scher Sätze gilt, sondern auch zu dem Gegenstand gehört, von dem
diese Sätze reden, hatte Bultmann bereits exegetisch klargestellt. „Den
christlichen Glauben annehmen heißt“ im Neuen Testament - so
sahen wir - „'Gott’ oder 'die Wahrheit erkennen’“184. Denn das
Kerygma beansprucht als Wort Gottes dessen eigene und die von ihm
geschaffene Wirklichkeit so zu erschließen, daß es zu einem neuen
menschlichen Selbstverständnis kommt: „... ich verstehe Gott, indem
ich mich selbst neu verstehe“185. Systematisch wird daraus gefolgert,
daß „die Wahrheit, auf die sich der Glaube richtet,... die Wirklichkeit
Gottes und damit [zugleich] die Wirklichkeit von Welt und Mensch in
ihrer Enthülltheit“ ist186. Der Glaube versteht - weil er die Wirklichkeit
von Welt und Mensch als eine mit der Selbsterschließung der Wirklich-
keit Gottes zugleich erschlossene Wirklichkeit und eben insofern „die
Wahrheit“ erkennt - „Welt und Mensch so..., wie sie wirklich sind“. Es
ist ihm deshalb wesentlich, Jeder anderen Betrachtungsweise, die das
gleiche beansprucht“, zu widersprechen und zu behaupten, „daß sie
falsch ist“187. Die Theologie hat diese Kontradiktionsfähigkeit des Glau-
bens auszubilden und zu steigern. D.h. sie hat „klarzustellen“, daß alle
„andern Weltanschauungen oder Daseins-Auslegungen ... unter das
Licht des göttlichen Anspruchs“ treten, und sie hat das so „klarzustel-
len“, daß das in diesem Anspruch „gegebene Daseinsverständnis deut-
lich wird als eine Daseins-Auslegung, in der sich der Mensch verstehen
kann“188.
183 AaO. 50.
184 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, hg. von 0. Merk, 81980, 71.
185 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 202.
186 AaO. 201.
187 AaO. 197.
188 AaO. 201.
 
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