24
Eberhard Jüngel
des Vorhandenen zu transformieren und damit weltlich verfügbar zu
machen. Bultmann fragt demgemäß, ob der Gegenstand der Theologie
„dann nicht ein innerweltlicher geworden“ ist. Hat die Theologie,
indem sie Satzwahrheiten formuliert, „nicht die Transzendenz ver-
loren?“60 Man fühlt sich an Schillers Distichon erinnert:
„Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen?
Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr“61.
Theologie ist nur möglich im Angesichte dieser Gefahr. Bultmann
zieht nicht die Konsequenz, daß Theologie angesichts dieser Gefahr
unmöglich wird. Die Theologie muß vielmehr ihre Selbstgefährdung
erkennen und so mit ihr leben. Sie kann das, wenn sie sich als fides
quaerens intellectum nicht von dem Lebensbezug des Glaubens löst,
den intellectus fidei also nicht als Selbstzweck pflegt, sondern als in-
tellectus quaerens fidem in ihren eigenen Ursprung zurückschwingt. In
fast wörtlicher Übereinstimmung mit einer Wendung aus Heideggers
Vortrag über „Phänomenologie und Theologie“ erklärt Bultmann:
„Theologische Arbeit als begriffliche Explikation der gläubigen Exi-
stenz wäre also dann möglich, wenn sie dem Glauben aus dem Glauben
und für den Glauben auferlegt ist“62. Geschieht die theologische Arbeit
in diesem Verständnis ex ttüjtegx; eIq tuotiv (vgl. Röm 1,17), dann
„könnte“ - so formuliert er zurückhaltend - es „sein, daß das distanz-
nehmende Hinsehen ein Akt des Glaubens selbst wäre; und nur dann
könnte von Theologie die Rede sein“63.
60 AaO. 163.
61 F. Schiller, Sprache. Tabulae votivae, Nr. 84, Sämtliche Werke, hg. von G. Fricke und
H. G. Göpfert, Bd. 1, 61980, 313.
62 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 163. Vgl. M. Heidegger, Phänomenologie
und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9, 1976, 45-78, 54: „ Vorausgesetzt,
daß nun aber die Theologie aus dem Glauben dem Glauben selbst und für ihn auf-
erlegt ist, Wissenschaft aber frei vollzogene, begrifflich enthüllende Vergegenständli-
chung ist, konstituiert sich die Theologie in der Thematisierung des Glaubens und
des mit ihm Enthüllten, d.h. hier 'Offenbarung’“. Auch der Kontext Bultmanns und
Heideggers stimmt oft bis in die Formulierung hinein überein. Bei Bultmann wird im
unmittelbar anschließenden Satz von der Theologie gesagt: „Sie kann nur im Glau-
ben selbst das zureichende Motiv haben“. Heidegger (ebd.) erklärt drei Sätze später:
„Sofern die Theologie dem Glauben auferlegt ist, kann sie nur im Glauben selbst das
zureichende Motiv für sich selbst haben“. Bultmann (ebd.) schließt für die Möglich-
keit wissenschaftlicher theologischer Arbeit aus, daß sie „aus einer Idee der Wissen-
schaft deduziert wird“. Heidegger konstatiert: „Die Notwendigkeit der Theologie läßt
sich daher nicht und nie aus einem rational entworfenen System der Wissenschaften
deduzieren“.
63 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 164.
Eberhard Jüngel
des Vorhandenen zu transformieren und damit weltlich verfügbar zu
machen. Bultmann fragt demgemäß, ob der Gegenstand der Theologie
„dann nicht ein innerweltlicher geworden“ ist. Hat die Theologie,
indem sie Satzwahrheiten formuliert, „nicht die Transzendenz ver-
loren?“60 Man fühlt sich an Schillers Distichon erinnert:
„Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen?
Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr“61.
Theologie ist nur möglich im Angesichte dieser Gefahr. Bultmann
zieht nicht die Konsequenz, daß Theologie angesichts dieser Gefahr
unmöglich wird. Die Theologie muß vielmehr ihre Selbstgefährdung
erkennen und so mit ihr leben. Sie kann das, wenn sie sich als fides
quaerens intellectum nicht von dem Lebensbezug des Glaubens löst,
den intellectus fidei also nicht als Selbstzweck pflegt, sondern als in-
tellectus quaerens fidem in ihren eigenen Ursprung zurückschwingt. In
fast wörtlicher Übereinstimmung mit einer Wendung aus Heideggers
Vortrag über „Phänomenologie und Theologie“ erklärt Bultmann:
„Theologische Arbeit als begriffliche Explikation der gläubigen Exi-
stenz wäre also dann möglich, wenn sie dem Glauben aus dem Glauben
und für den Glauben auferlegt ist“62. Geschieht die theologische Arbeit
in diesem Verständnis ex ttüjtegx; eIq tuotiv (vgl. Röm 1,17), dann
„könnte“ - so formuliert er zurückhaltend - es „sein, daß das distanz-
nehmende Hinsehen ein Akt des Glaubens selbst wäre; und nur dann
könnte von Theologie die Rede sein“63.
60 AaO. 163.
61 F. Schiller, Sprache. Tabulae votivae, Nr. 84, Sämtliche Werke, hg. von G. Fricke und
H. G. Göpfert, Bd. 1, 61980, 313.
62 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 163. Vgl. M. Heidegger, Phänomenologie
und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9, 1976, 45-78, 54: „ Vorausgesetzt,
daß nun aber die Theologie aus dem Glauben dem Glauben selbst und für ihn auf-
erlegt ist, Wissenschaft aber frei vollzogene, begrifflich enthüllende Vergegenständli-
chung ist, konstituiert sich die Theologie in der Thematisierung des Glaubens und
des mit ihm Enthüllten, d.h. hier 'Offenbarung’“. Auch der Kontext Bultmanns und
Heideggers stimmt oft bis in die Formulierung hinein überein. Bei Bultmann wird im
unmittelbar anschließenden Satz von der Theologie gesagt: „Sie kann nur im Glau-
ben selbst das zureichende Motiv haben“. Heidegger (ebd.) erklärt drei Sätze später:
„Sofern die Theologie dem Glauben auferlegt ist, kann sie nur im Glauben selbst das
zureichende Motiv für sich selbst haben“. Bultmann (ebd.) schließt für die Möglich-
keit wissenschaftlicher theologischer Arbeit aus, daß sie „aus einer Idee der Wissen-
schaft deduziert wird“. Heidegger konstatiert: „Die Notwendigkeit der Theologie läßt
sich daher nicht und nie aus einem rational entworfenen System der Wissenschaften
deduzieren“.
63 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 164.