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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0039
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Glauben und Verstehen

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geschichtliches Vorkommnis“ ist82. Die Differenz zu Schleiermacher
springt in die Augen. Heidegger und Bultmann begründen ihre Ableh-
nung der Auffassung, das Positum der Theologie sei das Christentum,
mit dem - wiederum fast gleichlautenden - Hinweis, daß „die Theolo-
gie selbst... mit zum Christentum“ und zur „Geschichte des Christen-
tums gehört, von ihr getragen wird und sie selbst wieder bestimmt“83.
Innerhalb des Christentums aber ist das die Theologie zur positiven
Wissenschaft machende, ihr zugängliche Positum das, was den christli-
chen Glauben als „eine Existenzweise des menschlichen Daseins ...
nicht aus dem Dasein und nicht durch es ..., sondern ... aus dem Ge-
glaubten“ zeitigt. Und dieses Geglaubte, die fides quae creditur, „ist für
den 'christlichen’ Glauben Christus, der gekreuzigte Gott“84. Weil „der
Glaube als das existierende Verhältnis zum Gekreuzigten eine Weise
des geschichtlichen Daseins“ ist, „und zwar des Geschichtlich-Seins in
einer Geschichte, die sich erst im Glauben und nur für den Glauben
enthüllt“, deshalb „ist die Theologie ... ihrem innersten Kerne nach
eine historische Wissenschaft; und zwar gemäß der im Glauben
beschlossenen eigentümlichen Geschichtlichkeit - 'Offenbarungsge-
schehen’ - eine historische Wissenschaft eigener Art“85. Sie ist als
solche durchaus systematisch, insofern sie „begriffliche Interpretation

Bultmann:
„Ist das Positum das Christentum als
eine geschichtliche Gegebenheit, ein ge-
schichtliches Vorkommnis, das in der
Religions-, der Geistes-, der Kulturge-
schichte vorliegt, in der Vergangenheit
wie in der Gegenwart sichtbar in Institu-
tionen und Lehren, in Kulten und kirch-
lichen Verbänden? Und Theologie wäre
die Wissenschaft von diesem Positum,
diesem geistes- oder kulturgeschichtli-
chen Phänomen? Offenbar nicht ...“

82 M. Heidegger, aaO. 51. Man beachte die Parallelität der Gedanken bei Heidegger und
R. Bultmann, aaO. 11 (Vorlesungsfassung von 1930):
Heidegger:
„Man könnte sagen: das Vorliegende für
die christliche Theologie ist das Chri-
stentum als ein geschichtliches Vor-
kommnis, bezeugt durch die Religions-
und Geistesgeschichte, ebenso in der
Gegenwart sichtbar als allgemeine welt-
geschichtliche Erscheinung in seinen
Einrichtungen, Kulten, Verbänden und
Gruppen. Christentum - das vorlie-
gende Positum, also die Theologie Wis-
senschaft von diesem. Offenbar wäre
das eine Fehlbestimmung der Theolo-
gie ..."
83 M. Heidegger, aaO. 51. Vgl. R. Bultmann, aaO. 11: „... die Theologie ist doch wohl ein
Teilphänomen dieses Christentums selbst; sie gehört mit zum Ganzen des Christen-
tums und seiner Geschichte; sie wird von ihr getragen und bestimmt sie wiederum
auch selbst“.
84 M. Heidegger, aaO. 52.
85 AaO. 55f.
 
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