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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0052
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Eberhard Jüngel

der Mystik ist formal richtig, ihr Gottesgedanke ist der richtige. Aber
sie hat den Gottesgedanken ohne Gott, sie glaubt, im Gottesgedanken
Gott zu haben“™.
Dieser Einwand impliziert einen zweiten. Denn wenn man Gott im
Gottesgedanken haben zu können meint, dann wird Gott ohne den
immer nur in einer geschichtlichen Situation verständlichen Anspruch
Gottes auf die menschliche Existenz begriffen139 140. Bultmanns Kritik
läuft denn auch darauf hinaus, daß „für die Mystik diese Welt
geschichtslos“ ist: „... die Mystik sieht an der Geschichtlichkeit des Men-
schen vorbei“141. Entweltlichung im neutestamentlichen Sinne ist
insofern nun doch etwas sehr anderes als Entwerdung im Sinne der
Mystik. Denn Entweltlichung bedeutet nach Bultmann gerade
Befreiung zum Leben in der Welt. Ist Gott des Menschen Jenseits,
dann nur so, daß dieses Jenseits ein „konkretes Jenseits“ ist, nicht aber
„das Bestimmungslose“. Als Jenseits des Menschen kommt also in
Wahrheit „nur das“ in Betracht, „was ihn ins Diesseits weist“ als das
„über ihn Verfügende, ihn Beschenkende“, Unverfugbare142. Indem
das Jenseits den Menschen ins Diesseits weist, beansprucht es ihn zu-
gleich als eine zur Gemeinschaft bestimmte Existenz, während die
Mystik „eine eigentliche kirchliche Gemeinschaft“ nicht kennt; sie „ist
vielmehr grundsätzlich kirchenfeindlich“. Mag sie auch „am kirchli-
chen Kult und Dogma“ sich anlehnen, so kann sie doch „ein wirkliches
Verhältnis zur Kirche des Wortes... nicht haben, da das Wort an den
konkreten geschichtlichen Menschen gerichtet ist und ihn seine kon-
krete geschichtliche Situation verstehen lehren will“143. Von daher ver-
bietet es sich für Bultmann, die Mängel des Protestantismus durch
Übernahme „mystischer Elemente“ zu heilen. Denn „das, was die
Mystik zur Mystik macht, kann man nicht übernehmen, ohne den
Glauben preiszugeben“. Will man dies nicht und gleichwohl bei den
Mystikern in die Schule gehen, „so übernimmt man gar nicht Mystik,
sondern pagane Elemente“144.
Die letzte wichtige Abgrenzung Bultmanns gilt dem Theologie Ver-
ständnis der altprotestantischen Orthodoxie. Den Vorwurf, den er der
139 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 117.
140 Vgl. aaO. 124, Anm. 56: „Mensch und Welt sind nicht primär durch den Anspruch
Gottes qualifiziert, sondern sind ästhetisch verstanden als Kunstwerk ...“
141 AaO. 124.
142 AaO. 129.
143 AaO. 125.
144 AaO. 129.
 
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