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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0067
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Glauben und Verstehen

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sie jedes Tun, vor allem die geistige Aktivität unterbindet... Sie will
den Menschen zur reinen Passivität bringen. Sie übersieht dabei, daß
er gerade dadurch in der höchsten Aktivität steht. Auch das Schweigen
als Methode ist Aktivität“203. Die Passivität, in der der Mensch seiner
selbst und aller Dinge ledig werden soll, kann also gar nicht herbeige-
führt werden, ohne dadurch ad absurdum geführt zu werden. Bult-
mann stellt deshalb den Geschenkcharakter der Passivität des Glau-
bens heraus: „Die Passivität des Menschen kann nie eine von ihm
gemachte sein, sondern nur die des Beschenktwerdens .,.“204 Doch
merkwürdigerweise fährt Bultmann im selben Satz unmittelbar fort:
„... d.h. von ihm aus immer Tat“205.
In der Verkennung des Tat-Charakters des Glaubens besteht nach
Bultmann das andere Mißverständnis der Passivität des Glaubens. Pas-
siv ist der Mensch demnach nur, insofern er „Gegenstand des göttli-
chen Tuns“ ist. Doch das Sein des Menschen bleibt nach Bultmann
auch dann, wenn er als Gegenstand des göttlichen Tuns passiv ist, ein
Sein in der Tat, „da Dasein immer Handeln ist“206. Auch der Glaube ist
für Bultmann folglich wesentlich Tat. Der § 14 seiner Enzyklopädie
trägt die Überschrift: Der Glaube als geschichtliche Tat. Unter
„geschichtlicher Tat“ will Bultmann den Vollzug des menschlichen
Daseins verstanden wissen und das heißt genauerhin, wie wir sahen,
„die konkrete Möglichkeit seines Seinkönnens, die er selbst wählt“207.
Der Mensch „ist in seinem Tun, er steht nicht daneben“208. Diese Auf-
fassung, der gemäß Existieren identisch mit Handeln ist, teilt Bult-
mann mit dem frühen Heidegger209 und mit Karl Barth210.
Die Charakterisierung des Glaubens als geschichtlicher Tat grenzt
die Passivität des Glaubens von Untätigkeit ab. In einer Randbemer-
kung zu seiner Auseinandersetzung mit der Mystik hat Bultmann
notiert: „Nicht das Otiose (Mystik), sondern das Passive (Glaube)!“211
203 AaO. 120.
204 AaO. 129.
205 Ebd.
206 AaO. 48.
207 AaO. 134.
208 Ebd.
209 M. Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9,
1976, 45-78, 58: weil „... Existieren aber Handeln, upa^u; ist ..."
210 K. Barth, KD II/2, (1942)61981, 594: „Als Mensch existieren heißt... handeln. Und
Handeln heißt wählen, heißt sich entscheiden“.
211 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 129, Anm. 67.
 
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